Wie kommt das Runde ins Eckige?

23.06.2010


Nachlese: Wie kommt das Runde ins Eckige?

21. Juni 2010 - Quelle TSB auch hier zu lesen

Der 48. Treffpunkt Wissenswerte, den die TSB Technologiestiftung Berlin und Inforadio (rbb) zusammen veranstalteten, fiel in die Zeit der Fußball-WM 2010. In diesen Tagen beschäftigte viele von uns die Frage, wie weit es die deutsche Nationalmannschaft in der WM 2010 bringen wird. So lag es nahe, das Zusammenspiel von Fußball und Wissenschaft zum Thema des 48. Treffpunkts WissensWerte zu machen.

Warum hat der Torwart Angst vor dem Elfmeter? Weshalb tun sich Roboter so schwer beim Dribbeln? Und was passiert im Kniegelenk bei der Flanke? - Diese und andere Fragen rund um den Fußball waren Thema beim 48. Treffpunkt WissensWerte.

Spielen während des Studiums

Prof. Dr. Hans-Dieter Burkhard von der Humboldt-Universität ist Leiter der Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz am Institut für Informatik. Er verbringt viel Zeit mit seinen Studenten beim Spielen. Das HU-Team nimmt seit vielen Jahren sehr erfolgreich an RoboCup-Turnieren teil, bei denen Roboter gegeneinander Fußball spielen, und hat bereits viele Titel gewonnen.

Durch das Fußballspiel lernen Prof. Burkhards Studenten verstehen, was Intelligenz ist. „Der Fußball mit seinem klaren Regelwerk eignet sich sehr gut dazu, Robotern gezielt Fähigkeiten beizubringen und dabei selbst zu begreifen, was Künstliche Intelligenz ist", erklärt Prof. Burkhard.

Früher lernten die Computer Schach spielen, aber das hatte nichts mit Künstlicher Intelligenz zu tun; beim Fußball ist das anders. Die Roboter müssen komplexe Zusammenhänge lernen und intelligent miteinander verknüpfen. - Wo ist der Ball? Wo ist das Tor? Was mache ich mit dem Ball? Diese und andere Fragen lernt der Roboter. Und er lernt, auf seine Umgebung zu reagieren und das Verhalten der gegnerischen Roboter zu interpretieren. All dies beeinflusst wiederum sein eigenes Verhalten.

Während das Team der Humboldt-Uni in früheren Jahren bei den RoboCup-Meisterschaften vor allem mit Aibos, den vierbeinigen Robotern, sehr erfolgreich war, spielen heute in ihrer Mannschaft so genannte „Naos" gegeneinander - hochkomplexe, menschenähnliche Roboter.

Ausgerüstet mit Kameras, flexiblen Gelenken und einer Menge Sensoren, können diese Maschinen dribbeln, laufen, Flanken schießen, köpfen, Fallrückzieher machen und vieles mehr. Aber sie laufen nach wie vor recht eckig und fallen auch oft um. Sie stehen jedoch auch von selbst wieder auf. Auf diese Weise lernen die Fußball spielenden Roboter der Humboldt-Uni ständig hinzu und werden besser und besser.

Sportmedizin als Spitzendisziplin

Prof. Dr. Georg Duda vom Julius-Wolff-Institut, Centrum für Sportwissenschaft und Sportmedizin an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, befasst sich nicht mit Robotern, sondern mit den medizinischen Aspekten des Hochleistungssports. Am Julius-Wolff-Institut der Charité ist man auf Unfall- und Wiederherstellungschirurgie spezialisiert; ein Schwerpunkt der Arbeit von Prof. Duda ist die Forschung an Gelenkverletzungen.

Nicht nur Ballack & Co. sind gefährdet. Jeder Mensch muss auf seine Gelenke aufpassen. Aber besonders auf die Gelenke eines Sportlers wirken in Belastungssituationen zum Teil erhebliche Kräfte. Vor allem immer wenn eine Bewegung wechselt, wenn der Fußballspieler aus dem vollen Lauf zum Schuss ausholt oder abstoppt, steigt die Verletzungsgefahr.

Immer wieder sehen wir Spieler, die nach einer kurzen Verletzungspause wieder auf dem Feld sind. Diese Erholungsphasen sind jedoch zu kurz, sagt Prof. Duda: „Der Heilungsprozess braucht Zeit. Die Spieler können durch die schnelle Rückkehr aufs Spielfeld die Heilung ihrer Verletzung nur zeitlich nach hinten verschieben."

Wenn ein Kreuzband gerissen ist, sind sowohl die Mechanik als auch die Sensorik des Knies gestört. Um eine vollständige Heilung zu erzielen, müssen die Belastungen langsam, aber kontinuierlich gesteigert werden; dies ist bei Sportlern nicht anders als bei untrainierten Patienten.

Aber wie kommt es eigentlich zu Verletzungen? Wodurch können Schädigungen vermieden werden? - Entscheidend ist die richtige Muskel-Koordination. Mit seinem Team am Julius-Wolff-Institut untersucht Prof. Duda zurzeit vor allem Gelenk-Patienten. Mit Hilfe implantierter Chips lassen sich die Kräfte live im Körper messen, die während der Bewegung auf die Gelenke wirken. Telemetrische Daten werden ausgelesen und für Studien eingesetzt. Die Ergebnisse sind erstaunlich.

Bei Untersuchungen an 50-60jährigen fand das Team um Prof. Dr. Duda heraus, dass sich der Körper unbewusst auf Belastungssituationen vorzubereiten vermag. Während beim zufälligen, leichten Stolpern über ein Kabel etwas das 7-8fache des Körpergewichts auf ein Hüftgelenk wirkt, erhöhen sich bei einer kontrollierten Belastung mit Vorankündigung die Belastungswerte kaum. Der Körper scheint sich also intuitiv auf eine Belastungssituation vorzubereiten und sich so selbst zu schützen.

Ähnliches passiert auch beim Profi-Fußballer, der ständig in Situationen gerät, die eine potentiell hohe Verletzungsgefahr darstellen. Fußball ist eine der härtesten Sportarten. Wenn man sich überlegt, welche Kräfte hier wirken und dass die Profis vollen Einsatz bringen müssen, dann passiert im Verhältnis noch relativ wenig. Hier sind eben Profis am Werk; im Freizeitsport ist die Verletzungsrate deutlich höher.

Die Angst des Torwarts vorm Elfmeter

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elfmeter ins Tor trifft, liegt bei etwa 75%. Bei einer Torentfernung von elf Metern und eine Ballgeschwindigkeit von durchschnittlich mindestens 100 km/h braucht der Ball nur etwa eine halbe Sekunde, bis er ins Tor trifft.

Diese kurze Zeitspanne unterschreitet die menschliche Reaktionszeit. Der Torwart hätte keine Chance, wenn er sich erst nach dem Abschuss des Balls entscheiden würde. Also muss er sich vorher Gedanken machen und sich für eine Seite entscheiden.

Unter Stress neigen wir dazu, auf bewährte Verhaltensmuster zurück zu greifen. Ebenso macht es der Torwart, der beim Elfmeter entweder in seine gewohnte Ecke springt oder sich wie bei der WM 2006 Jens Lehmann mit einem Spickzettel an der Lieblingsecke des Schützen orientiert.

Auch den „Magnus-Effekt" eines Flatterballs könnte der Mathematiker theoretisch berechnen, wenn er wirklich alle Faktoren berücksichtigte, die den Flug des Balls beeinflussen können: Materialstärke, Luftwirbel, Luftwiderstand, Drehimpuls, Schusskraft und -richtung usw.). Allerdings wäre die Formel für eine solche Berechnung unglaublich komplex. Man muss auch nicht alles berechnen, sondern kann sich auch an einem schönen Fußballspiel freuen.

Dr. Tim Conrad ist Mitglied im DFG Forschungszentrum Matheon und Leiter der Computational Proteomics Group am Institut für Mathematik an der Freien Universität Berlin. Beim Fußball beschäftigen sich Mathematiker vor allem mit Wahrscheinlichkeits-Berechnungen. Trotzdem wollte sich Dr. Conrad im WissensWerte-Gespräch nicht festlegen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Deutschland bei der WM 2010 Weltmeister wird.

Hinfallen und aufstehen

Wie kriegt man all diese Faktoren, die ein Spiel beeinflussen in einen Roboter? Diese Frage stellt sich auch das Team von Prof. Burkhard. Das Regelwerk des Fußballs ist übersichtlich und bietet überschaubare Rahmenbedingungen. Aber sobald es ans Spielen geht, wird die Sache sehr komplex. - Woran merkt ein Roboter, dass er hinfällt? Wie steht er wieder auf? -

Viele Aufgaben, die an einen Roboter beim Fußball gestellt werden, berühren die Frage nach der Wahrscheinlichkeit als einen Teil der Künstlichen Intelligenz. Der Roboter muss lernen, was wahrscheinlich geschieht, wenn er den Ball in eine bestimmte Richtung schießt. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Gegner den Ball bekommt? - So müssen Burkhards Studenten alle Möglichkeiten selbst durchspielen und diese dann in den Computer einspeisen. Je komplexer die Situationen sind, umso schwieriger wird es, dem Roboter alle möglichen Reaktionen beizubringen.

Für die Zukunft der Künstlichen Intelligenz ist es schwer, eine genaue Prognose abzugeben. Die Fortschritte, die Prof. Burkhard und seine Studenten machen, sind enorm. Im Jahr 2050 wird man vielleicht so weit sein, dass ein menschliches Fußball-Team gegen eine Roboter-Mannschaft antreten kann. Bis dahin wird das komplexe Lernen weiter große Fortschritte machen, und man wird immer besser verstehen, was Künstliche Intelligenz wirklich ausmacht.

Das gegenseitige Verständnis und Lernen kann allen wissenschaftlichen Disziplinen helfen sich weiter zu entwickeln. Sowohl die Informatik als auch die Medizin und die Mathematik können voneinander lernen und profitieren.

Roboter laufen eckig - Menschen nicht

Für Roboter ist es schwierig, sich auf verschiedenen Böden sicher zu bewegen. Was uns Menschen keine Probleme bereitet - der Wechsel von Teppichboden auf Linoleum -, stellt für den Roboter eine echte Herausforderung dar. Die Koordination der menschlichen Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen ist sehr komplex und kann in der Robotik auch heute nur schwer nachgebildet werden.

Wie die Roboter besser und sicherer laufen lernen, wird die Zukunft zeigen, sagt Prof. Burkhard. Das hochkomplexe Zusammenspiel der Muskelfasern kann man nicht programmieren, aber lernen lassen. Je höher die Rechenleistung der Computer wird, umso schneller lernen die Roboter, ihr Verhalten den vielschichtigen Situationen anzupassen.

Besser laufen mit dem optimalen Schuh

Der richtige Schuh ist auch eine Wissenschaft für sich. Prof. Duda untersucht am Julius-Wolff-Institut, wie Sportschuhe die Muskeln schonen können. Barfuß-Laufen ist die natürlichste Laufart und belastet die Gelenke am wenigsten. Aber Schuhe können sowohl die Muskulatur als auch die Gelenke unterstützen. Vor allem aber schützen die richtigen Schuhe den Fuß vor Verletzungen. Wie der ideale Sportschuh aussieht, wird man sicher noch herausfinden; aber die Untersuchungen am Julius-Wolff-Institut sind noch nicht abgeschlossen.

Woran merkt der Roboter, dass er den Ball trifft?

Wie autonom reagieren eigentlich Gliedmaßen? Letztlich sind die Reflexe für das koordinierte Zusammenspiel der Muskeln und Fasern verantwortlich. Reflexe sind Automatismen, die unser Körper durch kontinuierliches Ausprobieren erlernt hat. Ein lebenslanges Optimieren der Bewegungsabläufe vom Kleinkind bis ins hohe Alter unterstützt unseren Körper bei der Koordination und Optimierung der Bewegungsabläufe und verringert auf diese Weise auch die Verletzungsgefahr.

Woran merkt der Roboter, dass er den Ball gekickt hat? - Eine Vielzahl von eingebauten Sensoren sorgt dafür, dass der Schuss registriert wird. Je feiner diese Sensoren abgestimmt werden können, desto besser „versteht" der Roboter, ob sein Schuss gut oder schlecht war. Durch Wiederholung seiner Bewegungsabläufe lernt der Roboter auch das treffsichere Schießen.

Was der Mensch lernen kann, kann auch der Roboter lernen. Er braucht nur länger; aber die Forscher und Studenten im Humboldt-Team der Roboter-Fußballer versuchen es. Durch ihre Arbeit lernen sie besser verstehen, was Intelligenz bedeutet und wie wir Menschen lernen.

Fußball ist Emotion

Dasselbe gilt für Emotionen. Wird ein Roboter bei einem Rückstand von 0:1 wütender, oder nimmt er bei einer Führung von 1:0 das Tempo zurück? Wie wahrscheinlich ist ein Foul? - Je länger die Podiumsdiskussion dauerte, desto klarer wurde, dass Roboter-Fußball, Künstliche Intelligenz, Mathematik und Medizin einfach zusammen gehören.

Die maschinelle Simulation des menschlichen Bewegungsapparats und die Übertragung menschlicher Verhaltensweisen auf Fußball spielende Maschinen sind eine genauso große Herausforderung wie das Erfassen komplexer Kausalzusammenhänge, das Verstehen der Künstlichen Intelligenz und ihre Rückwirkung auf unser Bild vom Menschen.

„Wir brauchen einfachere Modelle der Wirklichkeit, die wir zunehmend komplexer machen können." meint Dr. Conrad. „Und wir versuchen, die komplexe Realität zu verstehen und sie zu vereinfachen." Dieser Ansatz ist allen drei Wissenschaftlern gemeinsam.

Die Wirklichkeit verstehen

Egal wie sehr man den Fußball durch technische Neuerungen optimieren möchte; entscheidend ist die menschliche Komponente dieses Sports. Dr. Conrad hält auch nichts von der Idee, eines Tages die Linienrichter durch Roboter zu ersetzen: „Warum regen wir uns bei einem Fußballspiel auf? - Weil der Schiedsrichter auf die eine oder andere Weise subjektiv entscheidet." Wenn das wegfiele, wäre Fußball langweilig.

So bleibt die Frage offen, ob die deutsche Mannschaft Weltmeister wird. Die mathematische Wahrscheinlichkeit eines deutschen Weltmeister-Titels ließe sich wohl berechnen; ebenso könnte man durch technische Neuerungen den Spielablauf perfekt kontrollieren und die Fehlerquote der Schiedsrichter minimieren. Aber dann wäre das Spiel der 22 um den einen Ball längst nicht mehr so spannend.

Podium:

Links:

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Download der Radio-Aufzeichnung:

Den Treffpunkt WissensWerte "Wie das Runde ins Eckige kommt" zum Nachhören finden Sie hier.

Autor/Quelle | Ralph Krüger

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