Was zeichnet den Wissenschaftsstandort Berlin aus?

28.10.2010

Nachlese: WeltWissen - Was zeichnet den Wissenschaftsstandort Berlin aus?

21. Oktober 2010 - Quelle TSB auch hier  zu lesen

Wie viel Wissen aus der ganzen Welt steckt in Berlin und wie viel Weltwissen kommt aus der Stadt? "WeltWissen" - so heißt die derzeitige Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin Mitte. Und genau dieses Motto hatte auch der 50. Treffpunkt WissensWerte, der Jubiläumstreffpunkt der TSB und Inforadio (rbb). Im Martin-Gropius-Bau diskutierten Wissenschaftler und Experten über den Wissenschaftsstandort Berlin und welche Voraussetzungen er jetzt und in Zukunft braucht, um ein Standort mit Exzellenz-Status zu sein.

Der 50. Treffpunkt WissensWerte im Rahmen der Ausstellung "WeltWissen" im Martin-Gropius-Bau.

Alle Fotos: Svea Pietschmann

Eine Standortbestimmung: "Wissenschaft in Berlin, das ist ..." - was genau, das sollen die drei Podiumsteilnehmer beschreiben. Der Berliner Mathematikprofessor Günter M. Ziegler soll die Gleichung "W in B = ..." vervollständigen. "Ich weiß nicht, ob sich das in eine Formel pressen lässt", sagt der 47-Jährige. Aber schon als er den Satz beendet hat, präsentiert er eine Lösung: "K³". Das erste K steht für Köpfe, also Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Das zweite K sind Kooperationen, denn es funktioniert nur, wenn alle zusammenarbeiten. Und das dritte K steht für Katalysatoren, also Förderer wie die TSB, die Akademie der Wissenschaften oder die Einstein Stiftung Berlin, die sich für die Wissenschaft einsetzen", sagt Ziegler.

Genauso schnell hat auch Norbert Quinkert, der Vorstandsvorsitzende der TSB Technologiestiftung Berlin eine Antwort: "Für mich ist Wissenschaft in Berlin eine unerschöpfliche Quelle und ein Vorrat für den Transfer in die Technologie. Wir wollen sie auf die Straße bringen und dazu brauchen wir die Wissenschaft", sagt Quinkert. Einen ganz anderen Ansatz hat Professor Detlev Ganten, der Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Charité: "Sie muss frech sein, neugierig, vorurteilsfrei, kritisch, aber auch selbstkritisch und dazu gehört nicht zwangsläufig ein akademischer Titel."

Berlin - Hauptstadt der Wissenschaft?

Rein von den Zahlen her hat keine andere Stadt in Deutschland ein solch hohes wissenschaftliches Potential wie Berlin: In der Stadt gibt es vier Universitäten, 25 private und staatliche Hochschulen, drei Kunsthochschulen und über 60 Forschungsinstitute mit tausenden Professoren und Wissenschaftlern und zehntausenden Studierenden. Die Frage ist, ob diese Zahlen auch hinreichend für den Status der wissenschaftlichen Exzellenz sind?

Denn einst war Berlin ein herausragender Wissenschaftsstandort, die Stadt galt im letzten Jahrhundert zum Beispiel als Weltzentrum der Physik. Vor allem im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Stadt einen Namen, als man mit Berlin Wissenschaftler wie Humboldt, Virchow, Helmholtz, Koch, Planck oder Einstein verband. "Die Frage ist, ob diese Wissenschaftler auch jetzt nach Berlin kommen würden?", sagt Prof. Ganten. Der 69-Jährige Mediziner ist selber kein ganz Unbekannter in der Stadt. 1991 gründete Ganten das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch, von 2004 bis 2008 war er Vorstandsvorsitzender der Charité. Mittlerweile beschränkt er sich auf den Vorsitz des Stiftungsrates der Charité und diversen Ehrenämtern, darunter das des Senatsbeauftragten für das Wissenschaftsjahr in Berlin 2010.

Kooperationen und das große Ganze im Auge haben
 
"Viele Wissenschaftler würden auch heute kommen, aber nicht alle", sagt Ganten. "Sie würden kommen, weil Berlin einfach interessant ist, weil Berlin eine liberale Stadt mit einem liberalen Bürgermeister ist und weil Berlin viele wissenschaftliche Einrichtungen hat und auch ein dynamisches Wissenschaftspflaster. Aber es braucht auch konzertierte Aktionen, bei denen alle Einrichtungen so zusammenarbeiten, dass wir ein Ganzes daraus machen können. Und in dem Punkt arbeiten wir noch nicht so, wie wir wollen."

Genauso sieht es auch Norbert Quinkert: "Die Zusammenarbeit ist gefragt und gefordert. Die Hochschulen müssen enger zusammenarbeiten, da gibt es große Chancen." Wie Netzwerke aufgebaut und gepflegt werden, weiß Quinkert. Der 67-Jährige hat für General Electric gearbeitet, war Deutschland-Chef von Motorola. Seit Januar 2010 ist er Vorstandsvorsitzender der TSB und deren Aufgabe ist es nicht nur Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft zu fördern, sondern sie auch zu vernetzen.

Berlinförderer, die die Elite nach Berlin holen

Was auch unerlässlich ist: Menschen, die Talente und berühmte Wissenschaftler dazu bringen, nach Berlin zu kommen. So wie einst Friedrich Althoff, der "heimliche preußische Kultusminister", der um 1900 das preußische Universitätswesen reformierte und allein die Berliner Institute von 38 auf 81 ausbaute. Wie kaum ein anderer trieb er den Wissenschaftsbereich in der Stadt voran, auch weil er viele berühmte Forscher her holte.

So ähnlich ist auch Günter M. Ziegler nach Berlin gelangt. Als Schüler ein Überflieger, Mathe-Studium im Turbotempo in München und in den USA am Massachusetts Institute of Technology, dort überspringt er das Diplom mit der Doktorprüfung am MIT. Doch irgendwann will er zurück nach Deutschland. Er landet in Augsburg als Assistent bei Mathematikprofessor Martin Grötschel. Als der nach Berlin an die Technische Universität geht, geht Ziegler mit. Drei Jahre später, 1995, ist er mit 32 Jahren der jüngste Professor an der TU. Zieglers Forschungsfeld sind Polyeder. Für seine Erkenntnisse wird er 2001 als jüngster Professor überhaupt mit dem höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis, dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ausgezeichnet. Damit nicht genug. Er war einer der Initiatoren des Jahres der Mathematik 2008 und er will andere für sein Fachgebiet begeistern, daher setzt er sich für ein lebendigeres, anschaulicheres und spielerisches Bild der Mathematik ein.

Berlin muss sein Potential nutzen


Was also denkt Ziegler, was junge Talente und berühmte Wissenschaftler nach Berlin ziehen könnte? "Wenn große Namen nach Berlin kommen sollen, dann kommen sie nicht wegen des Status' oder den Köpfen, sondern sie kommen wegen des Potentials, das Berlin hat. Da hat Berlin alle Möglichkeiten, aber sie werden längst nicht alle realisiert", sagt Ziegler.

Liegt das an den Wissenschaftlern, an den Politikern, am System? "Dass die Mathematik in Berlin so erfolgreich ist, liegt nicht an denen da oben, sondern an den Kooperationen. Es gibt viele Mathematikprojekte, in denen die Berliner Mathematiker zusammenarbeiten. Wir sagen, was wir wollen und wie wir es wollen. Und der Senat soll uns dabei bitteschön unterstützen", sagt der Mathematiker. Detlev Ganten führt weiter aus: "Die Wissenschaft will die Politik eigentlich raushalten, sie braucht Freiheit. Gute Leute kooperieren mit Guten und daraus entsteht dann etwas Gutes. Aber dafür sind strukturelle Voraussetzungen notwendig. Da hat es allerdings Berlin schwer, weil Berlin ein armes Land ist. Was meinen Sie, was an der Fakultät in Heidelberg in Baden-Württemberg für Investitionen möglich sind und was dagegen die Charité für Zwänge hat? Hier gibt es keine Investitionen und wenn es doch welche gibt, dann dauert es Jahre, bis es soweit ist und ist mit viel Bürokratie verbunden."

"Berlin ist großartig, aber die Welt schläft nicht"

Dabei hat das Tempo, in dem die Welt ständig fortschreitet, extrem angezogen. "Berlin ist eine großartige Stadt, aber die Welt schläft nicht", sagt Ganten. "Und Wissenschaft hält sich auch nicht an Grenzen, sie ist internationaler geworden. Städte wie Harvard, Boston, Oxford, Cambridge oder Shanghai - das sind schon andere Namen." Norbert Quinkert macht das auch an den Absolventenzahlen in den Ingenieurwissenschaften fest. "Hier wird einfach noch nicht gesehen, was wir für ein Potential entwickeln müssen. In Deutschland haben wir 50.000 Absolventen, in China dagegen 450.000, wenn auch das Niveau dort etwas geringer ist. Das heißt wir müssen für die Ingenieurwissenschaften mehr tun. Und das heißt wiederum, wir müssen mehr für die Bildung tun, das ist unser wichtigstes Kapital. Also müssen wir dafür auch mehr Geld ausgeben."

Ein wichtiges Element vor allem für die Naturwissenschaften sind dabei die Lehrer. "Wir müssen mehr Lehrer dafür ausbilden, denn sie sind ein wichtiger Hebel", sagt Günter M. Ziegler. Und das am besten schon für die Grundschulen, ergänzt Norbert Quinkert. "Kinder müssen an die Naturwissenschaften herangeführt werden, denn nach neuesten Untersuchungen wird die Neigung dafür schon in der Grundschule gelegt. Wir machen daher mit 100 Grundschulen ein Projekt, wo wir den Klassen große Kisten mit Experimentiermaterial geben. Die Kinder sind davon total fasziniert."

"Die besten Leute überschreiten die eigenen Fachgrenzen"

Die Naturwissenschaften müssen gefördert werden, stimmt Professor Ganten zu. Aber wenn gefördert wird, muss die Bildung insgesamt gefördert werden. Denn für ihn ist die Symbiose der einzelnen Wissenschaften ein ebenso wichtiger Faktor  "Aristoteles begann, indem er die Natur beobachtete. Später entwickelte er daraus Abstraktionen und wurde so zum Philosoph. Die besten Leute überschreiten die eigenen Fachgrenzen, verbinden zum Beispiel Natur- mit den Geisteswissenschaften", so Ganten.

Und genau das muss Berlin nutzen, sagt Günter M. Ziegler. "Es ist das Zusammenspiel von vielen verschiedenen Disziplinen, wo die Stadt gewinnt und gewinnen kann, zum Beispiel in der Mathematik und den Gesundheitswissenschaften. Das ist auch der Teil des Potentials von Berlin, der das Ganze spannend macht", so Ziegler.

Offen sein für neue Technologien

Was sich aber auch ändern muss, ist, dass Deutschland offener für neue Technologien sein muss, meint Norbert Quinkert. "Neue Sachen werden hier zuerst meistens skeptisch gesehen. Anders in den USA, da wird zuerst gefragt, wie kann es uns nutzen? Warum wurden das iPhone oder das iPad dort erfunden und auf den Markt gebracht? Warum wurden das Fax-Gerät oder das mp3-Format bei uns entwickelt, aber andere haben die Technik mit Milliardengewinnen verkauft? Das heißt, die Innovationen sind zwar da, aber wir bekommen sie nicht auf die Straße", sagt Quinkert.

Besser fortschrittsgläubig als fortschrittskritisch? "Geschichtlich betrachtet haben die USA und Deutschland einen ganz anderen Umgang gefunden, mit der eigenen Vergangenheit umzugehen. Ich bin eher dankbar, dass wir nachdenklicher und auch kritischer sind. Und wer braucht schon wirklich ein iPhone oder ein iPad?", sagt Detlev Ganten. "Wir müssen auf die wirklich sinnvollen Dinge gucken, die bringen uns weiter. Das Internet zum Beispiel, das ist sinnvoll. Oder die Magnetschwebebahn. Dass wir diese Technik allerdings hier in Deutschland nahezu aufgegeben haben, das ärgert mich sehr."

Was muss sich in Berlin also ändern?

Für Professor Ziegler ist es eine Reihe von Punkten. "Zuerst muss etwas gegen die Unterfinanzierung von Wissenschaft getan werden. In Berlin regnet es zum Teil in Gebäude rein, wo exzellente Wissenschaftler forschen. In Wissenschaft muss mehr investiert werden, aber nicht nur in Gebäude oder Gegenstände, sondern auch in Köpfe. Wir müssen die Naturwissenschaften mehr in die Kindergärten und Schulen bringen. Auch Lobbyarbeit ist wichtig, denn wer am Ende den Nobelpreis bekommt, hängt nicht nur von exzellenter Wissenschaft ab, sondern auch von Lobbyarbeit. Und wir Wissenschaftler müssen uns fragen, das, was wir entdecken, wie wird das akzeptiert und wie kann es nützlich und effektiv werden. Wir müssen also Marketing betreiben und uns fragen, wie wir Wissenschaft sichtbar machen können. Denn viele neue technologische Entwicklungen werden gar nicht wahrgenommen", sagt Ziegler. Was dabei schon helfen kann, ist eine Corporate Identity, sagt Professor Ganten.

Für Norbert Quinkert sind drei Punkte besonders wichtig: "Wir müssen Privatinvestoren und Sponsoren suchen und für die Wissenschaft gewinnen. Die Gesellschaft muss offener für Neues sein. Und ganz wichtig ist, dass junge Talente hier gehalten werden können. Viele gute Wissenschaftler gehen weg, weil Berlin die Industrie fehlt. Die gehen nach München oder Stuttgart. Das heißt für uns, dass wir kleine Pflänzchen wie die Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte in Berlin-Adlershof oder Berlin-Buch und kleine Firmen dort pflegen müssen", sagt Quinkert. Detlev Ganten fügt hinzu, dass so immerhin Microsoft oder Apple entstanden sind. Und auch aus kleinen Pflänzchen kann schließlich etwas ganz Großes werden.

Podium:


Moderation:
Thomas Prinzler
Wissenschaftsredaktion Inforadio (rbb)

Der Treffpunkt WissensWerte ist eine Veranstaltung der TSB Technologiestiftung Berlin und Inforadio (rbb), gefördert von der Investitionsbank Berlin, kofinanziert von der Europäischen Union. Sie wird mitgeschnitten und im Programm von Inforadio (rbb) 93,1 gesendet. Hier können Sie sich den Mitschnitt anhören und downloaden.

Weitere Informationen:

Autor/Quelle | Kristin Krüger

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