Probleme und Zukunft des Großstadtverkehrs

30.11.2010

Nachlese: Kraftakt: Energieeffiziente Stadt - Perspektiven nachhaltiger Energieversorgung: Kraftverkehr

29. November 2010 - Quelle TSB auch hier  zu lesen  

Ein eigenes Auto, das könnte in Zukunft die Ausnahme sein. Stattdessen werden wir mit Autos fahren, die man nach dem Carsharing-Prinzip nutzt und die in Ballungsräumen elektrisch angetrieben werden. Egal ob wir mit Auto, Bus, Bahn oder Fahrrad unterwegs sind, bezahlt wird diese neue Form der Mobilität nach Art der Nutzung oder per Flatrate. Wie genau der Verkehr in Zukunft aussehen könnte, darum ging es beim Treffpunkt WissensWerte „Kraftverkehr" in der Berliner Urania. Wissenschaftler und Experten diskutierten dabei über Ideen und Konzepte des Großstadtverkehrs.

„Das Auto, so wie wir es heute kennen, ist für mich ein Relikt der Vergangenheit", sagt Professor Andreas Knie. Der Techniksoziologe beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema und er ist einer der führenden Mobilitätsforscher in Deutschland. Knie leitet die Projektgruppe „Mobilität" am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) und er ist Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH.   
 
Zeit der Autos, die alles können, ist vorbei

Wer in Zukunft mobil sein will, muss dabei wohl auch von lieb gewonnen Gewohnheiten Abschied nehmen. „Die Idee der Renn-Reise-Limousine, die alles kann, hat ausgedient. Dass wir mit ein und demselben Auto zum Einkaufen um die Ecke fahren und in den Urlaub nach Italien, das wird sich erledigt haben", prognostiziert Knie. Stattdessen wird es in der Großstadt auf gebrauchstüchtige und effiziente Autos ankommen, die von allen genutzt werden. „Denn dass jeder sein eigenes Auto hat, von diesem Gedanken muss man sich in Zukunft befreien", sagt Knie.
 
Kaum vorstellbar, denn noch immer ist für viele das eigene Auto die komfortabelste und flexibelste Möglichkeit von einem Ort zum anderen zu kommen, auch in Berlin. Verglichen mit anderen Metropolen sind in der Hauptstadt Dauerstaus selten, genauso wie die stundenlange Parkplatzsuche. Parkplätze in Berlin sind zudem preiswert, oft sogar kostenlos. „In Paris, wo viele Straßen eng und verstopft sind, kostet ein Parkplatz für Anwohner in der Innenstadt 500 Euro pro Jahr", so Knie. Zum Vergleich: Im Prenzlauer Berg sind es gut zehn Euro.
 
„Fahren statt Besitzen"
 
Knie ist kein gänzlicher Autokritiker, aber in Zukunft sieht er weniger Privat-Autos in der Stadt. Denn größtenteils fahren diese Autos nicht, sondern stehen rum. „Der Flächenverbrauch ist damit immens und das Ganze ist alles andere als effizient und nachhaltig. Deshalb muss man über andere intelligente Nutzungsmodelle nachdenken. Fahren statt Besitzen zum Beispiel. Berlin darf hier nicht den Anschluss verlieren", so der 49-Jährige. Deshalb unterstützt Knie auch das Carsharing-Modell oder Call a Bike.
 
Aber Autobesitzer zu überzeugen, den eigenen geliebten Wagen aufzugeben, wird eine schwierige Aufgabe sein. Denn das Auto ist für die meisten wie eine Art Wohnzimmer, in das man nur einzusteigen und loszufahren braucht. „Es bietet einen eigenen Raum, ich kann zu einer selbst bestimmten Zeit unterwegs sein, auf einer eigenen Fahrtroute", sagt Knie. Die Gewohnheiten sind genau das Problem, denn bei Veränderungen sind die meisten erst einmal skeptisch. „Das, was ich gewohnt bin, das will ich auch beim neuen Modell haben", sagt Steffen Kümmell. Als Projektingenieur bei der Berliner Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV GmbH) hilft er, die Autos von morgen zu entwickeln.
 
Noch flexibler und individueller unterwegs sein
 
Bis auf den Wohnzimmer-Aspekt könnten das aber auch die gemeinsam genutzten Autos bieten. Und man werde mit ihnen sogar noch flexibler und individueller unterwegs sein, sagt Andreas Knie. Denn feste Abstellplätze für die Fahrzeuge muss es in Zukunft nicht unbedingt geben. „Mein Smart Phone sagt mir, wo in meiner Nähe zum Beispiel ein freies Auto steht, das ich benutzen kann. Es sagt mir auch, wie ich es starte. Und am Ziel angekommen lasse ich es einfach stehen und der Nächste kann es benutzen." Bequem soll dieses Modell sein, einfach und intuitiv. „Ich kann das Auto nicht nur nutzen, ohne es zu besitzen, sondern ich kann es nutzen, ohne groß nachzudenken", erläutert Knie.
 
Und das Modell des öffentlichen Autos hat noch mehr Vorteile. „Ich brauche nicht mehr ein Auto für alles, sondern das Auto ist Mittel zum Zweck", sagt Steffen Kümmell. „In der Stadt brauche ich nur ein kleines Auto. Aber wenn ich ein größeres brauche, dann kann ich über den Anbieter jederzeit auf ein anderes Modell zurückgreifen. Das Auto wird auch mehr für besondere Gelegenheiten gebucht werden, zum Beispiel um mit einem Oldtimer ins Grüne zu fahren", sagt der Ingenieur, der selber noch einen Youngtimer besitzt.

Auto wird zum Gebrauchsgegenstand

Ein Umdenken muss einsetzen und es hat bereits begonnen, sagt Christine Ahrend. Sie ist Professorin für Integrierte Verkehrsplanung an der Technischen Universität Berlin. „Ein Trend ist, dass die Autos immer kleiner werden. Das Auto der Zukunft wird so groß sein, dass eine Person Platz hat und eine kleine Tasche. Noch ist der Wohnzimmer-Aspekt da, aber er verliert an Bedeutung. Das Auto wird immer mehr zum reinen Gebrauchsgegenstand werden", sagt Ahrend.
 
Und es wird seine Rolle als eines der wichtigen Statussymbole verlieren, ist die Verkehrsplanerin überzeugt. "Bei jungen Menschen hat das Auto heute nicht mehr den Status wie früher", so Ahrend. Die eigene Wohnung, Urlaub oder die Freizeit haben mehr Wert. Andere Statussymbole wie Kleidung oder Smartphones sind für junge Menschen wichtiger als das Auto. Ein Grund sind die Kosten für das eigene Auto, ein weiterer die ökologische Effizienz. "Es sind schon heute nicht mehr die ganz großen Autos, mit denen man Eindruck machen kann. Auch weil man den Kauf eines solchen Wagens gegenüber Freunden oder dem Nachbarn nicht mehr begründen kann", sagt Ahrend.

E-Mobil-Zeitalter hat begonnen

Chic und "IN" wird es in Zukunft eher sein, ein elektrisch angetriebenes Auto zu fahren. Auch in Hamburg sind jetzt seit kurzem die ersten Elektro-Smarts unterwegs, in Berlin bereits seit Jahresbeginn. Die Hansestadt ist eine von acht deutschen Modellregionen, in denen das Bundesverkehrsministerium die Elektrofahrzeuge erprobt. Mit Mitteln aus dem zweiten Konjunkturprogramm werden die Entwicklung und Verbreitung der E-Mobile in Berlin und Potsdam, Bremen und Oldenburg, Hamburg, München, Rhein-Main, Rhein-Ruhr mit den Schwerpunkten Aachen und Münster, Sachsen mit den Schwerpunkten Dresden und Leipzig sowie Stuttgart gefördert. Bis 2020 soll sich Deutschland zum Leitmarkt für E-Mobile entwickeln, so die Bundesregierung. Mindestens eine Million Elektrofahrzeuge sollen dann auf den Straßen unterwegs sein.

In Berlin fahren Elektrofahrzeuge bereits seit anderthalb Jahren durch die Stadt. Hier testen seit Juni 2009 Vattenfall und BMW 50 Elektro-Mini auf ihr Alltagstauglichkeit. Einer der Tester ist Steffen Kümmell und für ihn ist es immer noch eine tolle Erfahrung mit dem Elektroauto unterwegs zu sein. "Ich nenne es spektakulär unspektakulär. Es ist ein anderes Fahren, aber dann auch wieder nicht. Vor allem ist es leiser", sagt Kümmell. Keine Geräusche vom Motor, nur der Wind und die rollenden Reifen sind zu hören. 204 PS hat Kümmells Mini und eine Reichweite von bis zu 250 Kilometern.

Vielzahl der Fahrten sind unter 100 Kilometern


Für den Ingenieur ist sein Elektroauto absolut alltagstauglich. "Wir sind sogar raus nach Brandenburg gefahren, wo es noch keine Ladestation gibt. Wenn man gut vorausplant, dann kommt man mit der Reichweite gut klar." Gerade die geringe Reichweite wird immer wieder als Minuspunkt der Elektroautos aufgeführt. „Zu Unrecht", sagt Kümmell. "Welche Reichweite brauche ich denn wirklich Tag für Tag? Von 100 Fahrten sind 90 unter 100 Kilometern. Wir müssen da Umdenken. Wir dürfen nicht davon ausgehen, wie viele Kilometer man mit einem herkömmlichen Auto zurücklegen kann, sondern welchen Bedarf ich wirklich habe."

Ein Umdenken wird von den drei Podiumsgästen immer wieder genannt. "Das Mobilitätssystem zu verändern geht nicht von allein. Man muss vor allem eine Veränderung wollen, sich auf Neues einlassen und dafür auch die Voraussetzungen schaffen. Wir brauchen neue Mobilitätsdienstleister und auch die Antriebsforschung muss vorangetrieben werden.

Auftanken an der Ampel

Auch da sind ganz neue Konzepte gefordert. "Bislang werden die Elektroautos an privaten oder öffentlichen Ladestationen per Kabel nachgeladen - eine Technologie des 19. Jahrhunderts", sagt Andreas Knie. Auch dafür könnte es andere Lösungen geben. "Warum das Auto nicht kabellos per Induktion auftanken, wie bei einer elektrischen Zahnbürste", fragt Steffen Kümmell in den Raum. Die Idee klingt futuristisch, hat aber Potential, sagt der Ingenieur. "Die Induktionsspulen können zum Beispiel im Straßenbelag an Ampeln oder unter Parkflächen eingelassen sein. Damit lässt sich die Autobatterie automatisch immer wieder aufladen. Stationäres Auftanken wird damit unnötig. Busspuren können sogar komplett mit Induktionsspulen ausgestattet sein. Und warum dann nicht so weit gehen, dass bei Stau die E-Autos anders als die Autos mit Verbrennungsmotor auch die Busspuren mitbenutzen dürfen", so Kümmell.

Ein entsprechendes Forschungsprojekt zum induktiven Laden von Elektroautos hat das Bundesumweltministerium gerade auf den Weg gebracht. "Die Technologie, die wir heute haben, dürfen wir nicht als gegeben hinnehmen. Und wichtig ist auch, dass das Gesamtsystem betrachtet wird, nicht nur die Autos, sondern die gesamte Infrastruktur. Ganz verschiedene Industriebereiche müssen zusammenarbeiten, denn es funktioniert nur, wenn das Gesamtsystem stimmt", sagt Kümmell.

Problem: Hohe Kosten

Und es funktioniert auch nur, wenn es für jeden bezahlbar ist. Denn bislang kostet ein E-Mobil deutlich mehr als ein Auto mit Verbrennungsmotor. "Die Lösung liegt in der Flotte", sagt Andreas Knie. "Wenn man die Fixkosten auf Viele verteilt, dann rechnet sich das auch für jeden." Der hohe Preis wird zudem oft als Schutzbehauptung aufgeführt, sagt Christine Ahrend. "Die meisten wissen, was das Bahnticket kostet oder der Flug mit dem Billigflieger, aber wie teuer der Betrieb des eigenen Autos ist, das weiß kaum einer." Und das ganz bewusst, sagt Andreas Knie. "Die meisten Menschen wissen es nicht und sie wollen es auch nicht wissen."

In Zukunft könnte es auch beim Preis andere Modelle geben. "Beim Internet fing es auch damit an, dass man für jedes Kilobyte gezahlt hat. Heute haben die meisten eine Flatrate. Warum soll es also nicht auch eine Mobilitätsflatrate geben können", sagt Steffen Kümmell. Und Andreas Knie ergänzt: "Man braucht eine ganz einfache Preisgestaltung. Keine Tarifzonen mehr, sondern einmal bezahlen und immer fahren." Und die hohen Kosten lassen sich weiter reduzieren. In dem man die Batterien als Zwischenspeicher nutzt und mehr auf regenerative Energien setzt.

Wann kommt das E-Mobil für Alle?

 
Die Frage ist, wann die schöne neue Technik, wann die E-Mobile für alle nutzbar sind? Das wird noch ein bisschen dauern, schätzt Andreas Knie. "Bis 2020 werden die E-Mobile am Fahrzeugmarkt einen Anteil von zwei bis drei Prozent haben." Und wann werden wir kein eigenes Auto mehr besitzen? "In der Stadt wird das in 30 Jahren soweit sein. Auf dem Land in 60 bis 70 Jahren", sagt Christine Ahrend. Andreas Knie setzt eher auf Prozente. "In den nächsten Jahren werden in den Metropolen nur noch 20 Prozent der Menschen ein eigenes Auto haben, in Ballungsräumen 50 Prozent. Nur Steffen Kümmell ist etwas verhaltener und will sich nicht so recht festlegen. "Das Auto ist ein Fahrzeug mit großer Faszination, das wir noch lange Zeit haben werden."

Podium


Moderation:


Der Treffpunkt WissensWerte eine Veranstaltung der TSB Technologiestiftung Berlin und Inforadio (rbb) in Kooperation mit dem Innovationszentrum Energie der Technischen Universität Berlin im Jahr der Energie und im Berliner Wissenschaftsjahr 2010, gefördert aus Mitteln der Investitionsbank Berlin, kofinanziert von der Europäischen Union - Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung. Die Talkrunde wird mitgeschnitten und im Programm von Inforadio (rbb) 93,1 gesendet.

Weitere Informationen zum Thema:

 

 

Autor/Quelle | Kristin Krüger

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