Geringere Zukunftserwartungen an die Politik

18.01.2011

 

Geringere Zukunftserwartungen an die Politik

Geschäftsklima-Index der deutschen Biotechnologie-Branche 2011 vorgestellt

BIO Deutschland befragte die Unternehmen

Die Krise ist vorüber, aber der Optimismus von ehedem ist in der deutschen Biotech-Branche noch nicht wieder zurück. Die aktuellen Umfrage-Ergebnisse, die der Branchenverband „Biotechnologie-Industrie-Organisation (BIO) Deutschland" zusammen mit dem Branchenmagazin  „transkript" am 18.1.2011 in Berlin vorstellte, zeigen zwar verbesserte Stimmungswerte. Aber an zentralen Problemen der deutschen Biotech-Szene hat sich nichts geändert: zu wenig Geld und zu wenig Gründungen.

BIO Deutschland konnte auf die Antwort von rund 200 der angeschriebenen 1000 Unternehmen (500 Biotech und 500 Dienstleister) zurückgreifen, eine Quote wie im Vorjahr. Um eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen, wird das erste Jahr der Befragungsreihe 2006 als Index 100 gesetzt und seitdem die Abweichungen davon registriert. In abgefragten Parametern liegen die Werte noch immer unter denen des Jahres 2006.

Die Indexwerte im Einzelnen:

Die Ergebnisse der Firmenumfrage und Grafikmaterial finden Sie hier: http://www.biodeutschland.org/trendumfrage-2010-2011.html

Dass sich bei der Beurteilung der aktuellen Geschäftslage keine Verbesserung feststellen lasse, führte Viola Bronsema, Geschäftsführerin der BIO Deutschland, auf den „Realismus in der Branche" zurück. Für viele Unternehmen bleibe das Problem des Finanzierungsengpasses weiter bestehen. Auch hätten Kosteneinsparungen und Konjunkturkrise die Pharma- und Chemiekonzerne vorsichtiger gemacht.

Deutlich besser als die Gegenwart wird indes die zukünftige Geschäftslage eingeschätzt. Hier steigt der Indexwert um über 5 Punkte von 92,6 auf 97,9. Gründe dafür sind der Erfolg neuer Geschäftsmodelle und die anziehende Pharma- und Chemie-Konjunktur. Bei Problempunkt Finanzierung sei es so, dass sich „die Branche selbst hilft: über strategische Beteiligungen und Übernahmen" (Bronsema). Ein kleiner Hoffnungswert ist die Personalplanung für 2011. Hier steigt der Branchenindex auf 95,3. Allerdings war das Wachstum im Jahr vorher größer als diesmal. Gründe für mehr Personal ist das Wachstum profitabler Biotech-Unternehmen und die Auslagerung von Funktionen durch die  Chemie- und Pharmabranche.

Vier Jahre lang war den Biotechs ihre Forschung und Entwicklung immer weniger wichtig. 2009 erreichten die FuE-Investitionen einen Index-Wert von nur noch 91, 3. Nun kommt die Innovationswende: Mit 95,5 Punkte wird sogar der zweitbeste Wert seit 2006 erreicht. Bronsema: „Die verbesserten Zukunftsaussichten lassen die Investitionsneigung wieder steigen". Aber auch der Nachholbedarf nach den „dürren Jahren" komme darin zum Ausdruck. Klassischer Investitionsstau.

 Einen gleichen Sprung nach oben macht die Bewertung des fachpolitischen Umfeldes („aktuelles politisches Klima"), die über fünf Punkte von 91,1 auf 96,4  zulegt. Als Gründe dafür nennt BIO Deutschland neu aufgelegte Forschungsprogramme des Bundes (Bioökonomie, Gesundheitsforschung) sowie eine „Klarheit bei Pflanzenbiotechnologie und Biopatenten".

Bemerkenswert bei den beiden größten 5-Punkt-Optimismus-Sprüngen der Bio-Umfrage ist, dass sie sich bei der Geschäftslage auf die Zukunft bezieht und bei der Politik auf die Gegenwart. Und was sind die Zukunfts-Erwartungen an die Politik? Hier wartet die Umfrage mit einer Überraschung auf: Als einziger absteigender Wert wird mit 91,2 (2009: 92,1) das „zukünftige politische Klima" bewertet. Als Grund dafür werden die „Commitments der Politik" angeführt, denen keine Taten zur Umsetzung gefolgt sind. Stichwort: Verlustvorträge, Orphan-Drug-Status, steuerliche FuE-Förderung.

Patrick Dieckhoff, Chefredakteur der Zeitschrift |transkript, bewertete die Zahlen mit den Worten: „Die Umfragedaten deuten eine erfreuliche Entwicklung der deutschen Biotechnologie-Unternehmen im laufenden Jahr an. Damit könnte die gesamtwirtschaftliche Erholung auf die Branche durchschlagen."

Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, sagte: „Wir freuen uns, dass die Biotechnologie-Branche wieder positiver in die Zukunft blickt und dass dieser Optimismus der Unternehmerinnen und Unternehmer wieder auf Vorkrisenniveau gestiegen ist."  Er fügte hinzu: „Die innovativen Unternehmen Deutschlands benötigen dringend von der Politik investitionsfreundlichere Rahmenbedingungen, damit der Standort wieder attraktiv für Kapitalgeber  wird."

Nach Erhebungen der Berliner BIOCOM AG, die in ihrem Branchenblatt transkript fortlaufend auch über die neuesten Finanzierungsdeals in der Biotech-Branche berichtet, wurden 2010  insgesamt Finanzierungen in Höhe von 590 Mio Euro registiert - ein unerwartet hoher Anstieg gegenüber 2009 mit 264 Mio Euro. Dieckhoff: „Eine solche Summe gab es seit 2000 nicht mehr". Allerdings dominierten darunter einige große Investments, die aus den Familiy-Offices einzelner Milliardäre wie Hopp und den Strüngmann-Brüdern und dem aus privatem Kapital gespeisten MIG-Fonds kamen. „Es gab aber zu wenige aktive Investoren für kleine und mittlere VC-Runden", stellte Dieckhoff fest.

Nach Peter Heinrich wird die Finanzierungssumme für 2010 sogar noch höher liegen. Nach der Statistik des BIO-Verbandes flossen in diesem Jahr 275 Mio Euro an Venture Capital in die Firmen, weitere 316 Mio kamen über Kapitalerhöhungen herein. Noch dazugerechnet werden muß der Posten „Fördermittel", der in den letzten Jahrfen immer in der Größenordnung von 50 Mio Euro lag. Ein IPO gab es nicht, seit drei Jahren wagte sich in Deutschland kein Biotech-Unternehmen neu an die Börse.  

Vor diesem Hintergrund wird immer häufiger zu „alternativen Finanzierungsmodellen" gegriffen. Das sind strategische Beteiligungen, wodurch etwa Biopharm das Überleben seines kleinen Partners Zedira sichern konnte. Auch der deutsche Pharma-Mittelstand, im Kern konservativ, risikoavers und daher an der Biotech-Branche desinteressiert,  beginnt mit ersten finanziellen Engagements, wie im Falle Engelhard Arzneimittel an Apogepha. Boehringer Ingelheim hat sogar einen eigenen Corporate VC-Fonds mit 100 Mio Euro aufgelegt.

Ein weiterer Trend ist die voranschreitende Konsolidierung, die auch zu Firmenübernahmen und Verflechtungen  führt. So investiert Morphosys seine Profite in junge Biotech-Firmen wie etwa Sloning. „Profitable Unternehmen finden ihre Nischen", beschrieb Dieckhoff diese Arrondierungs-Strategie, die längst auch unternational abläuft. So nutzte Morphosys die Kapitalschwäche eines US-amerikanischen Unternehmens, um es aufzukaufen. Wilex kaufte Heidelberg Pharma und Evotec kaufte Develogen, für 14 Mio Euro in Aktien.

Aber auch BigPharma ist im Übernahmegeschäft dabei. So hat Merck den Biotech-Zulieferer Millipore für mehr als 5 Mrd Euro gekauft. Wacker investiert Millionenbeträge in eine neue Biotech-Produktionsanlage.

Aber nicht alle Firmenentwicklungen sind Erfolgsbeispiele im Biotech-Jahr 2010. MediGene und Sygnis müssen die Hälfte ihrer Mitarbeiter entlassen. Roche schließt den Standort Kulmbach, in den es noch vor drei Jahren für die Entwicklung von RNAi-Medikamenten viel investiert hatte - eine für die  Szene überraschende Entscheidung. Der Regensburger Biotech-Dienstleister GeneArt lässt sich von der US-Firma Life Technologies kaufen. In Berlin  wird ProBioGen von der ägyptischen Minapharm übernommen.

Ein ganz neues Aktionsfeld ist die „Biologisierung der Industrie". Was bisher als „weiße Biotechnologie" auf den Umweltschutz ausgerichtet war, wird immer stärker durch energetische Nutzungen flankiert - wie etwa die Nutzung des Rohstoffs Lignocellulose, mit dem die Industrie aus Stroh Bio-Sprit machen will. Süd-Chemie baut eine neue Produktionsanlage für Bioethanol aus Cellulose. Eine besonders interessante Technologie (Stichwort „Molekulare Bionik") entwickelt der Energieriese RWE mit dem Biotechnologie-Unternehmen Brain: die Gewinnung von Feinchemikalien aus dem Rauchgas von Kraftwerken. Auf diese Weise kann - wenn es klappt - Kohlendioxid „vom Klimakiller zum Wertstoff" (transkript) mutieren. Die teure und geologisch noch nicht gesicherte Speichertechnik CCS wäre damit überflüssig.

Auch von dem neuen Förderprogramm zur Bioökonomie wird die Industrielle Biotechnologie (2,4 Mrd Euro) profitieren. Nicht ganz so sympathisch ist den Biotech, mit welch starker Fokussierung auf die Biomasse das Programm in die Umsetzung startet.

In seinem Ausblick auf das neue Jahr 2011 sah Patrick Dieckhoff  größere Lizenzdeals bevorstehen. Hier fielen die Namen Wilex und Paion. Wichtige klinische Daten werden für einige Biotech-Produkte erwartet (Wilex, Sygnis, 4SC). Für einige Firmen wird 2011 auch zum „Schicksalsjahr" werden. Auf dieser Liste stehen unter anderem MediGene uind Sygnis. Generell halte der zur Konsolidierung in der Biotech-Branche weiter an: „Große Unternehmen werden größer", so Dieckhoff. Im Finanzierungsbereich setzt er gewisse Hoffnung auf ausländische VC, so aus Frankreich und Belgien. Diese suchten „mit prall gefüllten Taschen" nach Investments und hätten jetzt das ausgetrocknete Deutschland entdeckt, wo erste Niederlassungs-Büros eröffnet wurden.

Weiterhin desolat ist die Finanzierungslage im Frühphasenbereich. Das führe auch dazu, dass immer weniger aus Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen ausgegründet werde, bestätigte Heinrich. Wer es dennoch wagt, muß sich auf Durstrecken einrichten. „Wir haben die zwei Sieger des Science4Life-Wettbewerbs betreut", berichtete Heinrich. Eigentlich müsste eine solche Auszeichnung ein Prädikatssiegel auch für Investoren sein. Dennoch: „Beide Firmen kämpfen heute noch um ihre Finanzierung".

(Zu den weiteren Ausführungen von Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender der BIO Deutschland, folgt ein separater Bericht)

Manfred Ronzheimer

Pressemitteilung:

http://www.biodeutschland.org/pressemitteilung-anzeigen/items/biotechnologie-branche-blickt-wieder-optimistischer-in-die-zukunft.html

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Beachten Sie auch diese Seiten (aus dem Jahr 2010) :

10.12.2010

BioBilanz 2010 in Luckenwalde - Die Biotechnologie-Region Berlin-Brandenburg hielt Rückschau

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=2161

 

Rahmenbedingungen für innovative KMU verbessern - 12. Vorstandskonferenz der Biotechnologie-Branche - 27.11.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=2118

 

 

Gründungsfeier für Biotechfirma Aevotis in Potsdam - Minister Christoffers übergibt Zuwendungsbescheide - 27.08.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1885

 

 

Ägypter kaufen Berliner ProBioGen AG - Dr. Wieland Wolf zum Vorstandsvorsitzenden ernannt - 10.07.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1707

 

Das Bakterienkraftwerk - Wie die Adlershofer HU-Ausgründung Cyano Biofuels GmbH Biosprit herstellt - 08.07.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1695

 

Technologieplattform validieren - NOXXON Pharma AG schließt Finanzrunde über 33 Millionen Euro - 27.05.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1507

 

Finanzierungsrunde bei caprotec bioanalytics  - Für Weiterentwicklung und Vermarktung der CCMS-Plattformtechnologie - 19.05.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1477

 

BioTOP Report 2010 - Aktuelle Zahlen zur Entwicklung der Biotechnologie in Berlin und Brandenburg - 06.05.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1427

 

Drei entscheidende Minuten der Bionnale  - Biochemikerin der FU Berlin gewinnt Speed Lecture Award - 28.04.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1399

 

Biotechnologiebranche ist Innovationstreiber  - Wirtschaftsminister Christoffers beim Branchentreffen Bionnale - 22.04.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1377

 

Biotech-Branche überrascht mit guten Zahlen - Aktuelle Daten auf den Deutschen Biotechnologietagen 2010 in Berlin - 22.04.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1378

 

Experte aus der Pharmaindustrie  - ALRISE Biosystems GmbH komplettiert mit Dr. Alessandro Banchi ihren Beirat - 19.04.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1362

 

MOLOGEN AG erhält Fördermittel - Für die Entwicklung eines DNA-Impfstoffes gegen Hepatitis B - 07.04.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1317

  

CFO-Gipfel der Biotech-Branche in Berlin - Finanzvorstände fordern verbesserte Bedingungen für innovative Mittelständler - 17.03.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1243

 

Neujahrsempfang des Campus Berlin-Buch - Die Bucher Biotechnologie-Unternehmen sind gut durch das Krisenjahr 2009 gekommen - 30.01.2010

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1063

 

 

05.01.2010

Die Entwicklung der Biotechnologie-Region Berlin-Brandenburg 2009 - Interview mit Dr. Kai Uwe Bindseil, Leiter des Aktionszentrums BioTOP Berlin-Brandenburg

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=947

 

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