08.01.2010
07.01.10 - PE SenStadt - auch hier zu lesen
Lösungen
und Wege zur Wiederherstellung des Normalbetriebes bei der S-Bahn
stehen derzeit im Fokus des öffentlichen Interesses. Die Senatorin für
Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, hat deshalb heute im Rahmen
einer Pressekonferenz über die Pläne des Berliner Senats zur Zukunft
des S-Bahnsystems informiert.
Da für alle grundsätzlichen Entscheidungen hinsichtlich des
S-Bahnbetriebes in Berlin mehrjährige Vorlaufphasen notwendig sind, ist
die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bereits seit ca. einem Jahr
mit dem Thema der Zukunft der S-Bahn betraut.
Senatorin
Junge-Reyer: „Im Dezember 2017 läuft der bestehende Verkehrsvertrag
zwischen der S-Bahn Berlin GmbH und den Ländern Berlin und Brandenburg
aus. Bei einem neuen Vertragsabschluss will der Berliner Senat seine
Vorstellungen zu Leistungsumfang, Qualität und Finanzierung so weit als
möglich umgesetzt wissen. Die S-Bahn als Rückgrat des Berliner
ÖPNV-Systems soll ihre Attraktivität wieder erhalten und diese soll
langfristig gesichert werden. Das Angebot für die Fahrgäste in Berlin
und Brandenburg muss verbessert werden und eine stabile Qualität
aufweisen. Gleichzeitig müssen die Kosten für die Länder sinken. Wir
wollen uns deshalb von den Zwängen der ausschließlichen Verhandlung mit
dem Monopolanbieter Deutsche Bahn AG lösen. Aus zeitlichen Gründen,
aber auch als Ergebnis der Erfahrungen, die mit dem Fahrzeugdesaster
der S-Bahn Berlin gesammelten wurden, intensivieren und konkretisieren
wir jetzt unsere Planungen für die Zeit nach 2017."
Eine zentrale Frage dabei ist, wie ermöglicht werden kann, dass
zukünftig andere Unternehmen als die S-Bahn Berlin GmbH
Verkehrsleistungen im Berliner S-Bahnnetz erbringen. Eine mögliche
Antwort lautet: Wettbewerb.
Drei grundsätzliche Alternativen für die Vergabe der S-Bahn Leistungen nach 2017 werden geprüft und vorbereitet:
Als erste Option wird für einen Teil des Netzes die
wettbewerbliche Vergabe ab 2017 vorbereitet. Der lange zeitliche
Vorlauf ergibt sich aus drei Vorbedingungen. Erstens muss eine
Vergabeabsicht bis Anfang Februar im EU-Amtsblatt veröffentlicht
werden, damit sie später nicht am EU-Rechtsrahmen scheitert. Eine
Verpflichtung zur Vergabe wird dadurch jedoch nicht ausgelöst. Zweitens
ist zu beachten: Das Netz der Berliner S-Bahn ist mehr als doppelt so
groß wie das der S-Bahn im Großraum Rhein-Ruhr und fast dreimal so groß
wie das der Hamburger S-Bahn. Die Dimension des Auftrags allein
verlangt nach einem ausreichenden zeitlichen Vorlauf für die
Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Anschlussvergabe.
Eine Schlüsselrolle als dritter Aspekt spielt die
Fahrzeugverfügbarkeit: In Berlin eingesetzte Fahrzeuge (so genannte
Viertelzüge) können nicht „von der Stange gekauft" werden. Technischen
Besonderheiten, wie Tunnelhöhen, Achslasten und der Betrieb mit
Gleichstrom, erfordern den Einsatz von „Spezialfahrzeugen". Diese
besitzt zurzeit nur die DB AG. Neue Betreiber können bis 2017 aller
Voraussicht nach bis zu 190 Viertelzüge zu vertretbaren Konditionen neu
beschaffen. Diese werden ab 2017 auch die Fahrzeuge der Baureihen 480
und 485, die dann das Ende ihrer betrieblich-technischen Nutzungsdauer
erreicht haben, ersetzen.
Mit 190 Fahrzeugen kann ein gutes Viertel des Leistungsumfangs der
Berliner S-Bahn bestritten werden. Eine wettbewerbliche Vergabe kommt
also nur in diesem Umfang und damit zunächst nur für einen Teil des
Netzes in Frage. Welches Teilnetz dies sein kann, prüft die
Senatsverwaltung zurzeit zusammen mit dem VBB. Bis Anfang Februar 2010
soll über die für eine Ausschreibung in Frage kommenden Linien
entschieden werden.
Eine Zerstückelung der Angebote ist durch die Teilnetzvergabe nach
Ansicht des Landes Berlin nicht zu befürchten. Senatorin Junge-Reyer
ist sicher, dass das Netz der S-Bahn auch mehrere Betreiber verträgt:
„Über vertragliche Vorgaben und wirksame Sanktionen sorgen wir dafür,
dass unterschiedliche Unternehmen im Netz reibungsfrei
zusammenarbeiten. Zudem ist die Senatsverwaltung als Aufgabenträger
bereits heute mit der Festlegung der Vorgaben für die Rahmenfahrpläne
betraut. Mit Hilfe dieser Rahmenfahrpläne wird auch in Zukunft dafür
gesorgt, dass den Fahrgästen ein integriertes, einheitliches Angebot
auf der Schiene zur Verfügung steht."
Gleichzeitig mit der Vorbereitung für die wettbewerbliche Vergabe prüft das Land als zweite
Alternative, ob und mit welchen Konsequenzen das landeseigene
Unternehmen BVG in der Lage sein könnte, ein Viertel des S-Bahn Netzes
zu betreiben und die dafür erforderlichen Fahrzeuge zu beschaffen.
Falls sich dies als günstigste Alternative darstellt, würde der
erforderliche Verkehrsvertrag mit der BVG AöR im Wege einer
Direktvergabe verhandelt werden können.
Eine dritte, in Prüfung befindliche Option ist die
Erwerb der S-Bahn Berlin GmbH durch das Land Berlin. Sollte dies
aussichtsreich erscheinen, wird das Land gegenüber der DB AG Interesse
am Erwerb der S-Bahn Berlin GmbH bekunden. Ob auf dieser Basis dann
Verkaufsgespräche geführt werden können, hängt allerdings von der
Veräußerungsbereitschaft des DB Konzerns ab. Bislang sind diesbezüglich
keine positiven Signale zu vernehmen.
Das Jahr 2010 dient der umfassenden Entscheidungsvorbereitung, Prüfung
und Abwägung der benannten drei Alternativen. Alle diesbezüglichen
Vorarbeiten sollen im Dezember 2010 abgeschlossen werden. Senatorin
Junge-Reyer: „Die Vergabe der Leistungen wird etwa 1 ½ Jahre dauern, da
den Unternehmen ausreichend Zeit gegeben werden muss, ein Angebot für
derartig komplexe Leistungen zu kalkulieren. Zudem rechnen wir damit,
dass die Fahrzeugindustrie etwa 5 ½ Jahre benötigt, um 190 Neufahrzeuge
für die S-Bahn zu entwickeln, zu erproben und zu bauen. Wir müssen
daher bis spätestens Januar 2011 entscheiden, ob und wie wir das mit
Neufahrzeugen zu bedienende Teilnetz vergeben wollen."
Das Land Berlin erwägt zudem eine Initiative im Bundesrat, die es dem
Eigentümer Bund ermöglichen soll, Belange des Allgemeinwohls gegenüber
der DB AG besser durchsetzen zu können. Die Erfolgsaussichten einer
solchen Initiative hängen wesentlich von den Positionen der anderen
Bundesländer sowie des Bundes selbst ab. Auch aus diesem Grund ist die
Auseinandersetzung mit alternativen Betreibermodellen für die Berliner
S-Bahn von grundlegender Bedeutung.
Senatorin Junge-Reyer: „Berlin hat stets eine kritische Haltung
gegenüber dem Börsengang der DB AG vertreten. Dass wir uns derzeit so
intensiv mit den Möglichkeiten des Wettbewerbs auseinandersetzen, liegt
auch daran, dass die Bundesländer nur so die Monopolsituation
aufbrechen können, um den Bürgerinnen und Bürgern einen guten
Nahverkehr zu fairen Konditionen anbieten zu können. Berlin will
deshalb, dass der Bund als Eigentümer der DB AG seine eigenen
Eingriffsrechte und -pflichten konkreter definiert und wahrnimmt. Es
muss endlich wieder allen Beteiligten klar werden, dass die Arbeit der
DB AG dem Allgemeinwohl zu dienen hat. Ähnlich dem Schweizer Vorbild
streben wir zudem eine Verbesserung der Möglichkeiten zur Übertragung
regionaler Schienenverkehrsnetze auf die Länder an. Dazu wollen wir
auch erreichen, dass die Fahrzeuge insbesondere auf Netzen mit
speziellen technischen Anforderungen (wie im Fall der Berliner S-Bahn)
den Ländern zur Verfügung stehen können."