Erstes Partizipations- und Integrationsgesetz der Bundesrepublik
09.08.2010
Senat bringt erstes Partizipations- und Integrationsgesetz der Bundesrepublik auf den Weg
Aus der Sitzung des Senats 3. August 2010:
Berlin wird das erste Land der Bundesrepublik mit einem Partizipations- und
Integrationsgesetz sein.
Auf Vorlage der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Carola Bluhm,
hat der Senat heute den Entwurf des „Gesetzes zur Regelung von Partizipation
und Integration" verabschiedet. Mit dem Gesetz werden die verbesserte Teilhabe
von Migrantinnen und Migranten sowie die interkulturelle Öffnung der Verwaltung
auf eine gesetzliche Basis gestellt.
Berlin schlägt mit dem Partizipations- und Integrationsgesetz einen neuen Weg
hin zu mehr Gleichberechtigung ein. Senatorin Bluhm: „In Berlin leben Menschen
aus über 180 Ländern zusammen. Diese Vielfalt an Erfahrungen, Weltanschauungen,
religiösen Einstellungen stellt ein wichtiges Potenzial für die Stadt dar. Es
gibt eine große Zahl von Berlinerinnen und Berlinern mit Migrationshintergrund,
die sehr erfolgreich in Berlin wirken, als Abgeordnete, Künstlerinnen und
Künstler, als Unternehmerinnen und Unternehmer, Gewerkschafterinnen und
Gewerkschafter. Dennoch spiegeln die staatlichen Einrichtungen des Landes
Berlin diese Vielfalt der Bevölkerung nicht ausreichend wider. Nach wie vor
gibt es aufgrund der nicht-deutschen Herkunft strukturelle Benachteiligungen im
Bildungswesen, im Erwerbsleben, auf dem Wohnungsmarkt.
Auch die Zusammensetzung der demokratischen Beteiligungsgremien des Landes und
der Bezirke ist nicht repräsentativ für die Bevölkerungsvielfalt in der Stadt.
Um diese Ungleichgewichte und Benachteiligungen abzubauen, brauchen wir ein
Gesetz für Berlin, das die Beteiligungsrechte der Bevölkerung mit
Migrationshintergrund verbindlich festschreibt und die Öffnung der
gesellschaftlichen Institutionen für die Vielfalt der Stadtbevölkerung
vorantreibt. Damit macht das Land auch deutlich, dass es Integration als einen
gesellschaftlichen Prozess begreift. Er schließt die gesamte Berliner
Bevölkerung ein und führt hin zu Gleichberechtigung und gleichen
Teilhabechancen."
Von dem Gesetzesvorhaben, so Bluhm, gehe das klare Signal an die Berlinerinnen
und Berliner mit Migrationshintergrund aus, diese Stadt aktiver als bisher
mitzugestalten: „Die Möglichkeit, aber auch die Bereitschaft, sich
einzubringen, sind in einer Stadt, in der 25 % der Bevölkerung eingewandert
sind oder aus Einwandererfamilien stammen, Voraussetzung für eine
prosperierende, friedliche und gerechte Entwicklung."
Dieser Aktivierungs- und Teilhabegedanke hat auch das Gesetzgebungsverfahren
geprägt. Die Initiative für das Gesetz kam aus dem Landesbeirat für
Integrations- und Migrationsfragen. Eine Arbeitsgruppe des Beirates hat den
Prozess konstruktiv begleitet. Einzigartig in einem Gesetzgebungsverfahren ist
auch, dass rund 100 Migrantenorganisationen während der Anhörungsphase Stellung
zu dem Gesetzesvorhaben beziehen konnten. Dabei standen erwartungsgemäß
Positionen, die sich mehr und verbindlichere Regelungen gewünscht hätten,
solchen Positionen gegenüber, denen die Regelungen zu weit gehen. Insgesamt
aber ist das Gesetzesvorhaben von den Migrantenorganisationen sehr positiv
aufgenommen worden als Einladung, sich aktiv an der Gestaltung der Stadt zu
beteiligen.
Kern des Gesetzes sind Regelungen zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung.
Bluhm: „Dem öffentlichen Dienst muss es wesentlich stärker gelingen, sich auf
die Vielschichtigkeit der Einwanderungsgesellschaft auszurichten. Diese
interkulturelle Öffnung der Verwaltung und von landeseigenen Unternehmen zieht
vor allem drei Konsequenzen nach sich:
• Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz gelten als Qualifikationen von
Beschäftigten bei Einstellungsverfahren und Beförderungen.
• Die Vielfalt der Bevölkerung soll sich auch in der Beschäftigtenstruktur der
staatlichen Institutionen widerspiegeln - ohne starre Quoten.
• Alle Maßnahmen und Vorhaben der Institutionen müssen daraufhin überprüft
werden, ob sie der Vielfalt der Stadtbevölkerung gerecht werden, also nicht
diskriminierend, sondern partizipations- und integrationsfördernd wirken."
Das Gesetz definiert auch, was Migrationshintergrund bedeutet. Einen
Migrationshintergrund haben demnach die erste und die zweite
Einwanderergeneration. Diese neue Berliner Definition ist enger als die bisher
gebräuchliche Definition des Mikrozensus. Darin bekommen auch Enkel von
Eingewanderten noch einen Migrationshintergrund zugeschrieben.
Ein weiteres wichtiges Anliegen des Gesetzes ist es, Institutionen zu stärken,
um die Partizipation zu fördern. So wird das 1981 eingerichtete Amt des/der
Integrationsbeauftragten auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Auch in den
Bezirken werden künftig verbindlich Integrationsbeauftragte tätig sein. Der
2003 konstituierte Beirat für Integrations- und Migrationsfragen wird ebenfalls
gesetzlich verankert.
Besser berücksichtigt werden soll zudem die religiöse Vielfalt der
Eingewanderten. So wird das Bestattungsgesetz dahingehend verändert, dass
künftig auch sarglose Bestattungen erlaubt sind. Im Feiertagsgesetz wird es
heißen: religiöse Feiertage statt wie bisher kirchliche Feiertage.
Das Gesetz konzentriert sich auf einen zentralen Bereich der
Integrationspolitik, nämlich die Verbesserung der Teilhabe. Es ersetzt keine
Aktivitäten in anderen wichtigen integrationspolitischen Handlungsfeldern wie
der Bildungs- oder Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitsmarktpolitik ist ebenso wie
das Aufenthalts- und das Staatsangehörigkeitsrecht Bundesrecht. In diesen
Bereichen hat das Land keine Regelungskompetenz. Der Bildungsbereich ist
überwiegend Landesrecht. Hier sind bereits viele integrationsfördernde
Maßnahmen in den geltenden Schul- und Hochschulgesetzen des Landes
festgeschrieben. Das Partizipations- und Integrationsgesetz soll noch in dieser
Legislaturperiode verabschiedet werden.
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Mitteilung vom: 03.08.2010, 12:20 Uhr - auch hier zu lesen
Rückfragen: Sprecherin der
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales
Telefon: 9028-2743
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HK Berlin: Geplantes Integrationsgesetz noch verbesserungsbedürftig
Die IHK Berlin hält den Entwurf des Integrationsgesetzes durch den Senat noch für unreif. „Die aktuellen Planungen für ein Partizipations- und Integrationsgesetz sind noch unvollständig und zu bürokratielastig", kritisierte heute IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Zuvor hatte der rot-rote Senat bundesweit erstmals ein solches Landesgesetz auf den Weg gebracht und dem Abgeordnetenhaus zur Verabschiedung zugeleitet.
Es sei zugegeben ein schwieriges Unterfangen, Integrationspolitik in einem umfassenden Artikelgesetz auf den Weg zu bringen, das keine wesentlichen Bausteine außer Acht lasse und zugleich auf übermäßige Bürokratie verzichte. Erfreulich sei, dass der Senat die Bedenken der Wirtschaft aufgenommen und auf starre Quotenregelungen verzichtet habe, so Eder. Dennoch erzeuge das Gesetz durch die Einrichtung neuer Gremien und Beauftragter noch immer neue Bürokratie. „Integration wird nicht über Beauftragte realisiert, sondern findet im Denken und Handeln der Menschen statt", sagte der IHK-Hauptgeschäftsführer.
Dafür bleibe das Gesetz an anderer Stelle unvollständig. Bei einer erfolgreichen Integrationspolitik dürfe Bildung als entscheidender Baustein nicht fehlen. „Es geht darum, Menschen zur echten Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen zu befähigen", betonte Eder. Deshalb fordere die IHK Berlin konkrete integrationspolitische Maßnahmen wie zum Beispiel Sprachstandsfeststellungen bereits zwei Jahre vor der Einschulung, eine allgemeine Vorschulpflicht, die Einbindung der Eltern in den Schulbetrieb und zielgruppenspezifische Arbeitsmarktprogramme.
Die IHK unterstütze weiterhin alle integrationspolitischen Anstrengungen, die Berlin zu Gute kommen. Bestes Beispiel dafür sei die gemeinsamen Kampagne von Senatsverwaltung, HWK und IHK „Berlins Wirtschaft braucht Dich", die auf eine Verbesserung der Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund abzielt. „Die Wirtschaft sieht den Handlungsbedarf für eine umfassende Integrationspolitik. Wir reichen dem Senat weiter die Hand, um hier zu einer tragfähigen und erfolgversprechenden Lösung zu kommen", so Eder abschließend.
Presseinformation der IHK Berlin vom 3. August 2010 - auch hier zu lesen