Berlin ist wirtschaftlicher Spitzenreiter unter den Bundesländern
11.08.2010
Pressemitteilung des DIW Berlin vom 11.08.2010 - auch hier zu lesen
Berlin: Wirtschaftlicher Spitzenreiter unter den Bundesländern
Nach einem zehn Jahre dauernden Schrumpfungsprozess hat die Berliner Wirtschaft die Trendumkehr geschafft und bewegt sich auf einem recht stabilen Wachstumspfad. Die jüngste Krise war zwar auch in Berlin zu spüren, aber längst nicht so deutlich wie in anderen Bundesländern. Zu diesem Ergebnis kommt das DIW Berlin in einer aktuellen Studie. „Berlin hat die Trendwende geschafft und holt jetzt auf, wenn auch der Rückstand zu anderen deutschen Großstädten noch groß ist", sagte DIW-Experte Karl Brenke.
Insgesamt ist die Wirtschaftsleistung in Berlin von 2004 bis 2009 jahresdurchschnittlich mit 1,7 Prozent gewachsen (Deutschland +0,5 Prozent). Auch ohne das Krisenjahr 2009 hätte Berlin die Spitzenposition inne. Wachstumstreiber war allein der Dienstleistungssektor. Zum einen sind in Berlin einige allgemein besonders wachstumsstarke Dienstleistungsaktivitäten vergleichsweise stark vertreten, zum anderen konnte Berlin in wichtigen Dienstleistungssektoren überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielen. Dazu gehören das Gastgewerbe, das kräftige Impulse vom wachsenden Städtetourismus erhält, und die unternehmensnahen Dienste. Ein großer Wachstumsbeitrag kam von solchen Dienstleistungen, deren Finanzierung stark vom Staat oder den Sozialversicherungsträgern abhängt. Diese haben in Berlin ein großes Gewicht, wachsen aber auch in anderen Regionen kräftig.
Seit 2005 wurden in der Hauptstadt knapp 140.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen; das Wachstumstempo war sowohl stärker als in Deutschland insgesamt als auch in den übrigen großen Städten. Zum allergrößten Teil handelt es sich um zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs, und dabei vor allem um qualifizierte Tätigkeiten. Weiter kräftig zugelegt hat auch die selbständige Beschäftigung, die in Berlin überdurchschnittlich verbreitet hat. Zwar ist die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken, aber nicht so stark wie es nach dem Beschäftigungszuwachs zu erwarten gewesen wäre. Ein erheblicher Teil der zusätzlichen Arbeitsplätze wurde wohl von Zuwanderern eingenommen. „Die Spaltung auf dem Berliner Arbeitsmarkt scheint sich zu vertiefen", so Karl Brenke „denn in Berlin gibt es überdurchschnittlich viele Hartz IV-Empfänger und Personen ohne Berufsausbildung unter den Arbeitslosen.
Berliner Wirtschaft: Nach langem Schrumpfen auf einem Wachstumspfad. Von Karl Brenke. In: Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 32/2010
http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.359115.de/10-32.pdf
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Sechs Fragen an Karl Brenke
„Berlin hat die wirtschaftliche Wende geschafft"
Herr Brenke, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, war Berlin lange Zeit Schlusslicht unter den
deutschen Bundesländern. Hat Berlin mittlerweile aufgeholt?
Berlin hat seit dem Jahr 2005 deutlich aufholen können. Die Wachstumsraten waren Jahr für Jahr höher
als im Bundesgebiet, und Berlin wurde auch nicht so stark von der Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen.
Das heißt, Berlin hat die Trendwende geschafft, allerdings ist die Wirtschaftsleistung pro Einwohner
trotz dieses Aufholprozesses immer noch nicht so hoch, wie in der Mitte des letzten Jahrzehnts. Dennoch
scheint Berlin die schwierigste Zeit hinter sich zu haben. Von 2005 bis 2009 verzeichnete Berlin im
Schnitt ein mehr als doppelt so hohes Wirtschaftswachstum wie das gesamte Bundesgebiet.
Wo liegen die Ursachen für diese positive Entwicklung?
Die Ursachen liegen eindeutig in der Expansion des Dienstleistungssektors. Das trifft zwar auch für andere deutsche Großstädte zu, in Berlin ist dieser Sektor jedoch vergleichsweise stark vertreten. Dazu gehört
in etwas geringerem Maße der Staatssektor, vor allem aber das Gesundheitswesen sowie Erziehung und Bildung haben stark expandieren können. Hinzu kommt, dass die Unternehmensdienste kräftig zulegen konnten, beispielsweise die Werbebranche. Nach wie vor schwach ist in Berlin die Industrie. Wegen der geringen Bedeutung der Industrie wurde Berlin auch wenig von der jüngsten Wirtschaftskrise getroffen.
Der Trend zum Städtetourismus macht sich auch in Berlin stark bemerkbar. Welche Rolle spielt er für
die Stadt?
Der Tourismus boomt in Berlin noch stärker als in anderen deutschen Großstädten, wie zum Beispiel
Hamburg. Die Übernachtungszahlen sind in den letzten Jahren sprunghaft nach oben gegangen, jedoch
trägt das Gastgewerbe in Berlin nur drei Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Das ist immerhin etwas mehr als der Bundesdurchschnitt.
Wie haben sich die Beschäftigungszahlen entwickelt?
Die Beschäftigungszahlen sind kräftig gestiegen. Es gibt heute in Berlin 140 000 Erwerbstätige mehr als
vor fünf Jahren. Zugenommen hat sowohl die Zahl der Selbständigen, als auch die Zahl der Arbeitnehmer,
wobei wir bei den Selbständigen vor allem im Kreativsektor und in den Medien ein besonders kräftiges
Wachstum verzeichnen. Aber auch die Zahl der Arbeitnehmer ist deutlich nach oben gegangen und
das nicht nur in geringfügigen, sondern im Wesentlichen bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.
Gehen Sie von einer langfristigen Trendumkehr aus?
Da Berlin über einen Zeitraum von fünf Jahren ein stetig höheres Wachstum hatte als der Bundesdurchschnitt,
kann man durchaus von einer Trendwende ausgehen. Was die einzelnen Wirtschaftssektoren
und auch die Berufe anbelangt, sieht man, dass Berlin gegenüber anderen Städten aufholen konnte. Allerdings ist
der Rückstand noch groß.
Was kann Berlin tun, um die positive Entwicklung zu stabilisieren?
Es kommt darauf an, dass in Berlin auch in Zukunft ausreichend Fachkräfte vorhanden sind. Viele der
zusätzlichen Arbeitsplätze sind offensichtlich von Personen besetzt worden, die nach Berlin zugewandert
sind. Zwar haben auch Einheimische neue Arbeitsplätze besetzen können, dennoch ist die Arbeitslosigkeit nicht so stark gesunken, wie es bei der kräftigen Zunahme der Erwerbstätigenzahl zu erwarten gewesen wäre. Deswegen sollte man in Berlin vor allem auf Bildungspolitik setzen, damit die Stadt auch in Zukunft das Fachkräftepotential hat, das sie benötigt.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Das vollständige Interview zum Anhören finden Sie auf
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Vom Absteiger zum Meister - Berlins Wirtschaft läuft besser als die anderer Bundesländer. Doch Arbeitslose profitieren davon kaum. Neue, hochwertige Jobs werden oft von Zugezogenen besetzt statt von Berlinern.
Der Tagesspiegel, 11.8.2010
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/vom-absteiger-zum-meister/1901176.html
Berlins zweite Wende - Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
Berliner Zeitung, 11.8.2010