Eine Industriestadt erfindet sich neu
12.08.2010
Eine Industriestadt erfindet sich neu
Vor mehr als 100 Jahren wurde die deutsche Hauptstadt als „Elektropolis" bestaunt. Doch von den einst Hunderttausenden Industriearbeitsplätzen ist nur ein Bruchteil geblieben. Inzwischen herrscht wieder Aufbruchstimmung.
Neustart
für die "Elektropolis"
Rückstand
zu Hamburg
Weltweite
Investorensuche
Pläne
werden verschmolzen
Nach vielen Jahren des schmerzhaften Strukturwandels der Wirtschaft in der
Hauptstadtregion ist die Berliner Industrie nun zukunftsfähig aufgestellt. Die
stetig steigende Exportquote und die besonders hohe Innovationsrate der
Berliner Industrie belegen die großen Wachstumspotenziale.
Inzwischen besinnt sich auch die Politik zurück auf die industriellen Wurzeln
Berlins. So entsteht derzeit ein Berliner Masterplan Industrie, der die
Strategie für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes thematisiert. Dazu wird ein
neuer Berliner Stadtentwicklungsplan Industrie und Gewerbe ein Konzept für die
gesamte gewerbliche Bauflächenkulisse in Berlin bieten.
Neustart für die „Elektropolis"
Bausch & Lomb entwickelt seinen Berliner Standort zum europäischen
Forschungs- und Entwicklungszentrum. BSH Bosch Siemens Hausgeräte baut ein
neues Technologiezentrum, in dem die globale Grundlagenentwicklung im Bereich
Wäschepflege betrieben wird. Das Siemens-Turbinenwerk in Berlin Moabit erhält
einen millionenschweren Großauftrag für hocheffiziente Gasturbinen. Der
Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit konstituiert den Steuerungskreis
Industriepolitik. Der Senat beschließt den Masterplan Industriestadt Berlin
2010 bis 2020. Diese und andere Meldungen über die Berliner Industrie häufen
sich in letzter Zeit und hinterlassen den Eindruck, dass einiges passiert in
diesem lange vernachlässigten Wirtschaftsbereich.
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war Berlin ein bedeutender Industriestandort.
Große Namen wie AEG, Siemens und Borsig hatten hier ihren Sitz. Die
„Elektropolis Berlin" war damals weltweites Zentrum der elektrotechnischen
Industrie und eine der größten Industriemetropolen Europas. Von den damals fast
600 000 Industriearbeitsplätzen gibt es allerdings nur noch etwa 100 000.
Die Berliner Industrie musste einen heftigen Strukturwandel verkraften. In den letzten Jahren hat sie sich jedoch positiv entwickelt - mit steigender Exportquote und wachsender Bruttowertschöpfung. Kurz: Sie zeigt sich in einem neuen Bild. Inzwischen produziert sie nicht mehr mit rauchenden Schornsteinen, sondern in Reinräumen und effizienten Produktionslinien ohne Lärm und Russ. Die Berliner Industrieunternehmen investieren in die Zukunft und setzen auf Innovationen. Beispielsweise erweitert neben Bausch & Lomb, die in den letzten Jahren mehr als 30 Mio. US-Dollar in ihren Spandauer Standort investiert haben, auch B. Braun Melsungen in Rudow ihre Produktionsanlagen und setzen dafür mindestens 25 Mio. Euro ein. Auch BSH ändert seine Aufstellung. Zwar wird im Juni 2012 im Spandauer Werk nach fast 60 Jahren Produktion die letzte Waschmaschine vom Band laufen und die Fabrik geschlossen werden. Das bedeutet aber nicht das Ende von BSH in Berlin: Der Konzern will in Siemensstadt ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum für mehr als 700 Beschäftigte bauen, die schon jetzt in Berlin neue Produkte für den gesamten Bereich Wäschepflege entwerfen. Am 10. Juni wurde der Grundstein im Spandauer Siemens Technopark gelegt. Die hauseigenen Entwickler werden sehr eng mit den regionalen Hochschulen zusammenarbeiten.
Rückstand zu Hamburg
Diese Entwicklung hin zu einer modernen, innovativen und nachhaltigen
Industrie, geprägt von Forschung und Entwicklung, einer engen Zusammenarbeit
mit der starken Berliner Wissenschaft und Hochtechnologie muss noch stärker
unterstützt werden. Denn trotz der positiven Signale weist Berlin immer noch
ein industrielles Defizit mit zu wenig Industriearbeitsplätzen im Vergleich zu
anderen Standorten auf. Kommen in Berlin nur ca. 30 Industriearbeitsplätze auf
1000 Einwohner, sind es allein in Hamburg etwa doppelt so viele. Der Aufgabe,
dieses Defizit abzubauen, stellt sich aktuell die Berliner Politik im engen
Schulterschluss mit Akteuren aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden.
In Berlin ist Industrie nach einem Jahrzehnte währenden Mauerblümchendasein zur
„Chefsache" befördert worden. Mit dem Masterplan Industrie und dem
Steuerungskreis Industriepolitik soll der Startschuss für eine moderne und
ressortüber-greifende Industriepolitik gegeben werden. Und nach draußen, in die
Welt, soll die Botschaft gehen: Schaut auf diese Stadt endlich auch als
Industriestandort. Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes liegt in einer
modernen, innovativen und wett-bewerbsfähigen Industrie, die die anderen
Stärken Berlins - in Wissenschaft, Kultur und Dienstleistungen - integriert.
„Die Industrie bestimmt den Pulsschlag des Wirtschaftsstandortes Berlin. Jeder
hier neu geschaffene Arbeitsplatz zieht drei weitere in anderen Sektoren nach
sich. Nichts braucht unsere Stadt dringender! Doch dies ist kein Selbstläufer;
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik müssen über Ressortgrenzen hinweg an einem
Strang ziehen. Genau darauf zielt der Masterplan", so Jan Eder,
Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin.
Ein Bündnis aus Senat, Wirtschaft und Gewerkschaften hat unter der Federführung
von Wirtschaftssenator Harald Wolf den Masterplan Industriestadt Berlin 2010
bis 2020 erstellt. Dieser sieht 34 konkrete Projekte in den Feldern
Rahmenbedingungen, Innovationen, Fachkräfte und Standortkommunikation vor. So
soll beispielsweise die Dienstleistungsorientierung der Verwaltung mit Hilfe
von Seminaren gesteigert, die Transparenz des Industrieflächenangebotes erhöht
und die Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen verbessert werden.
Fachkräfte für die Industrie sollen durch gezielte Förderung
mathematisch-naturwissenschaftlicher Kompetenz an Schulen, Hochschulen und in
Betrieben gesichert werden. Die Fläche des Flughafens Tegel soll als Standort
für Zukunftstechnologien und Industrie entwickelt werden.
Der Masterplan Industrie ist nicht nur ein umfangreiches Arbeitsprogramm für
die Industriepolitik, er ist gleichzeitig ein Bekenntnis des Senats und seiner
Partner zur Industriestadt Berlin. Ein Ziel ist es daher auch, dass dieses
Bekenntnis von der Berliner Industrie getragen und die Industriestadt Berlin
nach innen und außen kommuniziert wird. Unternehmen, die an dem Projekt
Masterplan Industrie und der Industriestadt Berlin Interesse haben, können sich
an die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen wenden (Anja
Sabanovic, Tel: 030 / 90138457, E-Mail: Anja.Sabanovic@senwtf.berlin.de).
Weltweite Investorensuche
Darüber hinaus arbeitet die Berlin Partner GmbH derzeit gemeinsam mit der
Senatskanzlei und den Akteuren des Masterplans Industrie daran, innerhalb der
be Berlin-Imagekampagne den Industriestandort zu bewerben. Ende 2010 und 2011
macht die Hauptstadtkampagne das Thema „moderne Industrie" zu einem ihrer
kommunikativen Schwerpunkte. Berlin soll so als erfolgreicher Innovations- und
Forschungsstandort, der geprägt ist durch eine einzigartige Mischung aus
modernisierten Traditionsbranchen und industriellen Zukunftsfeldern, weltweit
erkennbar werden. Zentrales Element stellen die in Berlin ansässigen
Unternehmen dar, deren Produkte und Innovationen als wichtige Beweisträger der
Kampagnenbotschaft inszeniert werden. Die Vermarktung der Berliner Industrie
bietet den beteiligten Unternehmen die Möglichkeit, die eigene Bedeutung für
den Industrie- und Wissenschaftsstandort herauszustellen. Ein Partnerbeteiligungskonzept
für interessierte Unternehmen kann bei Berlin Partner (Kampagnenleiterin Sarah
Tietze, Tel. 030 39980-146, E-Mail: sarah.tietze@berlin-partner.de) angefragt
werden.
Innerhalb des Masterplans wird die IHK Berlin das Projekt „Karriere in der
Berliner Industrie" federführend umsetzen. Ziel ist es, Berliner
Industrieunternehmen bei Berliner Studierenden bekannter zu machen, Jobchancen
in der Berliner Industrie aufzuzeigen und hochqualifizierte Graduierte in der
Region zu halten bzw. sie hierher zulocken.
Der Querschnittsthemen Wissenstransfer und Fachkräfte nimmt sich auch der
Steuerungskreis Industriepolitik schwerpunktmäßig an. Hier beraten unter der
Leitung des Regierenden Bürgermeisters der Wirtschaftssenator und die Spitzen
von IHK, Handwerkskammer, DGB, IG Metall und Berlin Partner über neue
industriepolitische Initiativen und begleiten die Umsetzung des Masterplans
Industrie. Weitere Senatorinnen und Senatoren werden themenspezifisch zu den
Sitzungen hinzugeladen, um den ressortübergreifenden Charakter zu
verdeutlichen. Der Steuerungskreis soll als „Knotenlöser" vor allem in
strittigen Fragen Lösungen herbeiführen.
Klar ist: Erfolgreiche Industriepolitik muss die verschiedenen Akteure an einen
Tisch holen und sich als Querschnittsaufgabe begreifen. Nur so können die
Stärken Berlins gebündelt und die Rahmenbedingungen für unternehmerische
Aktivitäten verbessert werden.
Pläne werden verschmolzen
Ganz deutlich wird dies am Beispiel des neuen Stadtentwicklungsplans Industrie und Gewerbe, der derzeit erarbeitet wird. Aus den bislang zwei Entwicklungskonzepten der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung („Stadtentwicklungs- plan Gewerbe") und Wirtschaft („Entwicklungskonzept für den produktions-geprägten Bereich", EpB) soll ein einheitlicher Plan werden. Die IHK Berlin sorgt in diesem Prozess dafür, dass die tatsächlichen Anforderungen der Berliner Unternehmen und potenzieller Investoren angemessen berücksichtigt werden. Ende 2010 soll der neue Stadtentwicklungsplan Industrie und Gewerbe die bislang getrennten Planwerke ablösen. Torsten Tonndorf, der den Planungsprozess in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung leitet, betont: „Die Kontinuität beider bisherigen Planwerke soll erkennbar bleiben, indem bewährte Elemente aufgenommen werden, so z.B. die Darstellung von Flächen mit besonderem Sicherungsbedarf und die Gebietssteckbriefe aus dem EpB. Zugleich sollen mit neuem Leitbild und Konzept aber auch neue Akzente gesetzt werden."
Lesen
Sie mehr auf der nächsten Seite
|
-------------
UMWELTWIRTSCHAFT
Auf dem Weg zur Hauptstadt der Green Economy - 32 Maßnahmenvorschläge der IHK Berlin zur Weiterentwicklung der Umweltwirtschaft und der Nachhaltigkeitsaktivitäten in der Berliner Wirtschaft - 13.07.2010
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1723
17.06.2010
China:
Im Land der Superlative
Titelthema der "Berliner Wirtschaft" im Juni 2010