Allianz für sozial-ökologischen Umbau
09.06.2012
Transformationskongress in Berlin vereint Naturschutz, Arbeiterbewegung und Christen
In Berlin ist heute der Transformationskongress zu Ende gegangen, mit dem Naturschützer, Gewerkschaften und Christen ein neues historisches Bündnis begründen wollen: ein Bündnis für Nachhaltigkeit in erweitertem Sinne. Das bestehende Wirtschaftssystem, das den Planeten über seine Regenerationsfähigkeit ausbeutet und zwischen den Menschen extreme Ungleichheit produziert, soll in ein neues, natur- und sozialverträgliches Wirtschaften unter Abkehr vom alten Wachstumsbegriff transformiert werden. Die Tagung fand statt mit Blick auf die Rio-Konferenz in der kommenden Woche, auf der ebenfalls die Themen ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Entwicklung durch grüne Ökonomie im Mittelpunkt stehen. Das Motto des Transformationskongresses – veranstaltet vom Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Deutschen Naturschutzring und Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland – lautete: »Nachhaltig handeln, Wirtschaft neu gestalten, Demokratie stärken«. Bei den EKD-Organisationen handelte es sich um Brot für die Welt, die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) und das Sozialwissenschaftliches Institut der EKD (SI). (1)
(1) http://transformationskongress.de
Die Veranstaltung war von den drei Organisationen in zweijähriger Arbeit vorbereitet worden. Auf ihr sollte das Thema Wirtschaftswachstum, Finanz- und Wirtschaftskrise und nachhaltige Entwicklung als zentralen Lösungsansatz vorgestellt werden. „Wie dringlich die Auseinandersetzung mit diesen Fragen geworden ist, zeigen auch die oft zähflüssigen Beratungen der Bundestags Enquete-Kommission ‘Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität”, die leider hinter dem Stand vieler Debatten zurückbleiben“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings, Dr. Helmut Röscheisen in einem Pressegespräch im Vorfeld der Tagung. „Doch die Debatte ist schon deshalb notwendig, weil erst sie die Zusammenhänge und Ursachen der Transformationen deutlich macht, die von der Politik gestaltet werden müsste, von ihr aber verdrängt wird“.
Höhepunkte des Veranstaltung im Kongresszentrum am Berliner Alexanderplatz, die in anderhalb Tagen 900 Teilnehmer hatte, waren die Eröffnungs-Rede von Prof. Richard Wilkinson, Gründer und Co-Director Equality Trust, eine Panel-Diskussion mit Vertretern des Ökumenischen Rates der Kirchen, der International Trade Union Confederation und den Naturfreunden Deutschlands, acht thematische Workshops, die auch Thesen für die Abschlußssitzung erarbeiteten, der Vortrag "Mehr Demokratie wagen" von Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der HUMBOLDT-VIADRINA-School of Governance, eine Andacht mit Dr. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages in der Kirche St. Marien am Alexanderplatz, Den Vortrag „The world's next economic top model“ von Prof. Dr. James K. Galbraith, School of Public Affairs, Universitiy of Texas at Austin, eine Gesprächsrunde mit Gästen aus Politik und Zivilgesellschaft, an der neben dem neuen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier (CDU) auch Dr. Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Claudia Roth, Vorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen (Gysi hatte abgesagt) sowie Prof. Dr. Brigitte Unger, Wissenschaftliche Direktorin des WSI, teilnahmen.
Das Abschlußpanel mit den Fragen „Was nehmen wir mit - was setzten wir um - wo bleiben Fragen?“ bestritten für die Träger der Tagung Pfr. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin von Brot für die Welt, Andrea Kocsis, stellv. Vorsitzende von ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft und Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. (3)
(3)
Das Programm als pdf-Download
Die Themen der acht Workshops waren:
(1) REGULIERTE MÄRKTE - FÜR GESTALTENDE POLITIK
(2) INNOVATIONEN UND TECHNOLOGIEPOLITIK – FÜR NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN
(3) GREEN JOBS - FÜR GUTE ARBEIT DER ZUKUNFT
(4) DEMOKRATISIERUNG DER WIRTSCHAFT UND NACHHALTIGES WETTBEWERBSRECHT - FÜR ZUKUNFTSFÄHIGE UNTERNEHMEN
(5) ENERGIEWENDE– FÜR ZUKUNFTSFÄHIGE ARBEIT, RISIKOMINIMIERUNG, UND KLIMASCHUTZ
(6) NACH PEAK OIL - NACHHALTIGE MOBILITÄT FÜR ALLE
(7) ERNÄHRUNGSSICHERHEIT UND BIOLOGISCHE VIELFALT - FÜR EINE ZUKUNFTSFÄHIGE WELTGEMEINSCHAFT
(8) DEMOKRATIE UND BETEILIGUNG - FÜR EINEN NEUEN GLOBALEN GESELLSCHAFTSVERTRAG
Die Jugendverbände der Trägerorganisationen engagierten sich bereits im Vorfeld. Per Video werden die Botschaften von jungen Menschen in den Kongress eingespielt und eingeladene Politiker um Stellungnahmen gebeten.
Inhalte
Der Kongress wolle eine grundsätzliche Debatte über das westliche Fortschritts- und Lebensmodell anstoßen. Das Ziel ist eine neue, gerechte Wirtschaftsordnung, die gute Arbeit sichert, die natürlichen Lebensgrundlagen erhält und die Gesellschaft trägt, erklärte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in seiner Eröffnungsansprache.
„Die Gegenwart ist durch mehrere Krisen geprägt, die sich gegenseitig verschärfen. Wir erleben eine zunehmende Entwertung von Arbeit, spüren die Erschütterungen einer globalen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialstaatskrise und werden Zeugen einer sich zuspitzenden Umwelt- und Ernährungskrise. Weltweit stehen wir vor großen Herausforderungen, der soziale und ökologische Modernisierungsbedarf unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist offensichtlich. Wir brauchen neue Regeln, sowohl für eine neue Ordnung der Arbeit, als auch für die Finanzmärkte und den Umgang mit natürlichen Ressourcen.
Es geht also in den kommenden Jahren um nicht mehr und nicht weniger als die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Die westlichen Industrieländer müssen voran gehen. Gelingt hier der sozial-ökologische Umbau, kann ein solches Wachstumsmodell auch Leitbild für die Schwellenländer werden. Die Energiewende in Deutschland ist hierfür der erste große Test. Misslingt dieses ambitionierte Projekt, hat das nicht nur gravierende Folgen für Deutschland, sondern weltweit. Die Bundesregierung ist gut beraten, die Energiewende endlich ernsthaft anzupacken, damit sie auch Vorbild für andere Länder wird.
Deutschland ist ein starker, innovationsfähiger Industrie- und Dienstleistungsstandort, dessen Wohlstand auch in der Zukunft auf ökonomischem Wachstum basieren wird. Die Gewerkschaften bekennen sich zu einem nachhaltigen und qualitativen Wachstum. Denn das Wachstum von morgen kann nicht in einem ‚immer mehr’ liegen, sondern es geht um ein ‚immer besser’. Wir brauchen eine neue, gerechte Wirtschaftsordnung, die gute Arbeit sichert und den sozialen Zusammenhalt stärkt. Wir brauchen gerechte Löhne, mehr Mitbestimmung und eine starke Demokratie, bessere öffentliche Daseinsvorsorge und einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Über den Weg hin zu einem solchen neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell möchten wir mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis diskutieren. Gemeinsam werben wir für ein Umdenken und eine neue Politik.“ (2)
(2) http://www.dgb.de/presse/++co++a6a388ca-b086-11e1-4c99-00188b4dc422
EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider begann seine Ausführungen damit, dass für die Christen zwar Gott der Schöpfer der Welt und allen Lebens ist, aber dem Menschen auf Erden die Aufgabe zukomme, diese Schöpfung zu bewahren. Die Bibel lehre den Menschen, „Wohlstand“ und „Fülle des Lebens“ nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie materiell zu definieren. Was „Märkte“ wollen, dürfe nicht zum Leitbild für die Definition eines „guten Lebens“ werden, sagte Schneider. „ Verzicht auf materielles Wachstum tut vielfach nicht nur der Umwelt gut, sondern auch den Menschen, die mehr als genug zum Leben haben“. Mit einer "Ethik des Genug" wollten Theologie und Kirchen darauf aufmerksam machen. „Gut leben“ heiße nicht nur „viel haben“, sondern auch „solidarisch leben“ und „mitmenschlich teilen“.
Weiter betonte der EKD-Ratvorsitzende, dass sich Europa nicht als eine Festung nach außen abschotten dürfe. „Das Wort Gottes ruft uns in die Verantwortung, Frieden und Gerechtigkeit in allen Ländern der Welt weiter voran zu bringen.“. Wörtlich sagte Schneider: „Es schreit zum Himmel, dass unvorstellbare Summen auf den Finanzmärkten verdient werden, während jeden Tag 25000 Menschen sterben, weil wir es nicht schaffen, medizinische Ressourcen und Nahrungsmittel so zu verteilen, dass alle Menschen leben können.“
Die Transformations-Aufgabe und dieser Transformationskongress sind sehr wohl auch eine Aufgabe der Kirche. Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt: Es gibt immer Alternativen, auch wenn sie oft nur von wenigen gedacht, geträumt, erhofft, erstritten und erarbeitet werden. Wir können uns und wir können unsere Welt verändern. Gottes Geist kann unser Denken und Handeln erneuern. Und wir sind überzeugt, dass dieser Geist des Lebens nicht nur in der Kirche wirkt. Wir wollen mit allen zusammenarbeiten, die unterwegs sind zu sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Wirtschaft, Bewahrung der Schöpfung und lebendiger Demokratie. Das ist möglich, auch wenn wir aus ganz verschiedenen Traditionen und Kulturen kommen und in gewisser Weise verschiedene Sprachen sprechen. Diese Erfahrung haben wir vor kurzem mit dem Pfingstfest gefeiert. Und diese Erfahrung haben wir auch bei der Vorbereitung des Transformationskongresses gemacht. (6)
(6) http://transformationskongress.de/fileadmin/editor_upload/Allgemein/Nikolaus_Schneider.pdf
Energiewende-Konsens in Vorbereitung
In der politischen Diskussionsrunde kündigte der neue Umweltminister Peter Altmaier an, dass er zusammen mit dem BDI auf der Rio-Konferenz ein Papier zur „Green Economy“ vorstellen wolle. „Weil wir Überschriften finden müssen, um deutlich zu machen, in welche Richtung die wirtschaftliche Entwicklung gehen soll“, begründete der Minister die Initiative. Der BDI habe erkannt, dass durch umweltverträgliche Technologien und Produkte „nicht nur Exportpotenziale für die deutsche Wirtschaft entstehen, sondern dass wir damit weltweit vielen Ländern helfen können“, so Altmaier. In dieser Absicht wolle man in Rio zusammen mit der EU-Kommission „maßgeschneiderte Transformationsprogramme anbieten“.
Weiter hob Altmaier hervor, dass Erfolge in Rio nur zustande kommen könnten, wenn es den Regierungen gelinge, in einer ganz neuen Weise mit den Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) zusammen zu arbeiten. Er selbst sei an solchen Kooperationen mit Umwelt-NGOs sehr interessiert sei. Auf der Rio-Konferenz wolle er viele Gespräche mit nationalen wie internationalen NGOs führen und werde dafür ein Drittel seiner Zeit bereitstellen, versprach Altmaier. Außerdem wolle er in Deutschland bis zum Ende des Jahres einen „nationalen Konsens zur Energiewende“ erreichen, der auch fünf bis sechs zentralen Punkten bestehen werde.
Die Aussagen des Ministers können auf einem Audio-Mitschnitt des politischen Gesprächs mit Peter Altmaier, Frank-Walter Steinmeier, Claudia Roth und Brigitte Unger angehört werden. (5)
Manfred Ronzheimer für InnoMonitor Berlin-Brandenburg