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Alles Turbo oder was?

23.03.2011

Alles Turbo oder was? Turbomaschinen in Berlin-Brandenburg

17. März 2011  - Quelle TSB - auch hier zu lesen

Die Hauptstadtregion ist einer DER Standorte für Turbomaschinen. Schon vor 100 Jahren wurden die Maschinen hier entwickelt und gebaut. Sichtbares Zeichen dafür ist noch immer die von AEG errichtete Turbinenhalle in Berlin-Moabit. Heute sind es fünf große Unternehmen, die den Standort ausmachen, hinzu kommen Zulieferbetriebe und Forschungseinrichtungen, die sich mit dem Bereich beschäftigen. Wie ist der Stand bei der Erforschung und Produktion von Turbomaschinen, wohin geht die Entwicklung - darüber haben Wissenschaftler und Experten auf dem 53. Treffpunkt WissensWerte der TSB Technologiestiftung Berlin und Inforadio im rbb-Fernsehzentrum in Berlin diskutiert.

Fraunhofer IPK/Steffen Pospischil

Alle Fotos: Fraunhofer IPK/Steffen Pospischil

Die Talkrunde wurde aufgezeichnet und im Inforadio (rbb) ausgestrahlt. Sie können Sie sich hier noch einmal anhören.

Siemens, MAN, Rolls-Royce, MTU und Alstom - diese fünf großen Unternehmen sind es, die die Region Berlin-Brandenburg zu einem der führenden Standorte für Turbomaschinen weltweit machen - kaum woanders ballt sich dieser Zweig der Industrie so sehr wie hier.

Mit über 8.000 Arbeitsplätzen, inklusive Zulieferbetrieben, und einem Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro ist der Turbomaschinen-Sektor nicht nur ein wichtiger Teil des Industriestandortes Berlin-Brandenburg sondern auch des Zukunftsfeldes Energietechnik, das geht aus der Studie "Turbomaschinen in Berlin-Brandenburg" der TSB Technologiestiftung Berlin hervor. Dafür sorgen auch über zehn wissenschaftliche Einrichtungen in der Region, die rund um die Turbomaschinen forschen. Die Zahlen machen eins deutlich: Wie groß das Potenzial in diesem Bereich ist.

Wie funktioniert eine Turbine?

Eingesetzt werden Turbomaschinen vor allem in Kraftwerken als Gas-, Wasser- sowie Dampfturbinen oder zum Antrieb von Flugzeugen als Triebwerke. Und wie funktioniert eine Turbine, zum Beispiel die Gasturbine? Sie besteht aus Kompressor, Brennkammer und einem Generator. Im Kompressor wird Luft aus der Umgebung angesaugt und zusammengepresst. Dadurch steigt der Druck. Die komprimierte Luft kommt anschließend in die Brennkammer, wo ein gasförmiger Brennstoff zugefügt und entzündet wird. Das Gemisch verbrennt, dabei dehnt sich das Gas mit einer gewaltigen Kraft aus und bringt die Schaufeln der Turbine zum Drehen. So wird der Stromgenerator angetrieben. All diese Prozesse - Ansaugen, Komprimieren, Verbrennen, Ausdehnen - finden ständig statt. Die Turbine ist also permanent in Betrieb, ohne Pause.

Gewaltiger Vorwärtsschub bei Flugtriebwerk


Bei einem Flugzeugtriebwerk wird kein Gas beigefügt, sondern Treibstoff, z.B. Kerosin. Die Funktionsweise ist ähnlich, nur dass am Ende die Verbrennungsgase über eine Düse ausgestoßen werden, was zu einem gewaltigen Vorwärtsschub führt.

Stark vereinfacht erklärt, gleicht das System einer Weihnachtspyramide. Von unten strömt die warme Luft, die durch die brennenden Kerzen erzeugt wird, nach oben und bringt das Schaufelrad oben zum Drehen. Nur dass die Energie, die in einer Turbine erzeugt wird, um ein Vielfaches höher ist.

Umgekehrtes Wirkprinzip beim Kompressor

Genau andersherum funktionieren die Maschinen, die von MAN Diesel & Turbo SE in Berlin gebaut werden. „Wir bauen große Kompressoren, zum Beispiel für Gaspipelines", erklärt Standortleiter Ralf Thon. „Das klassische Problem innerhalb der Pipeline ist, dass das Gas nicht von selber laufen kann. Deshalb wird es durch die Rohre durchgedrückt. Dafür wird das Gas im Kompressor zusammengedrückt und durch den höheren Druck marschiert es quasi los", sagt Thon.

Problem: Da der Gasdruck in einer Pipeline nachlässt, muss dieser Prozess im Laufe des Transports ständig wiederholt werden. Die Leistung der Kompressoren ist dabei enorm. Ralf Thon gibt ein Beispiel: „Mit einem unserer großen Kompressoren könnten wir innerhalb einer Stunde die gesamt O2-Arena in Berlin leer saugen."

Hohe Anforderungen an das Material

Der Vergleich spricht für sich. Turbomaschinen gehören zu den leistungsstärksten von Menschen gebauten Maschinen. An einem Bespiel verdeutlicht Frank Besinger das Größe-Kräfte-Verhältnis. „An einer Schaufel hängt im Prinzip die Leistung mehrerer 40 Tonnen schwerer LKW. Das reicht, um 1.000 Toaster einen Tag lang zu betreiben. Und innerhalb einer großen Turbine sind 50 bis 100 solcher Schaufeln hintereinander montiert", erklärt Besinger. Er ist Geschäftsführer der aideon GmbH, einer Berliner Unternehmensberatung, die sich auf die Energie- und Anlagenbranche spezialisiert hat.

Es liegt auf der Hand, dass die gewaltige Energiefreisetzung ganz besondere Anforderungen an Material und Verarbeitung setzt, erklärt Professor Eckart Uhlmann. Er ist Direktor des Fraunhofer-Institutes für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik Berlin. „Turbinen haben im Schnitt einen Durchmesser von vier Metern, sie laufen mit einer Drehzahl von 3.000 Umdrehungen, 350 Megawatt werden damit erzeugt, innen herrschen hoher Druck und hohe Fliehkräfte. Das bedeutet, wir brauchen ganz besondere Werkstoffe, die das aushalten", sagt Uhlmann.

Je größer die Hitze, desto größer der Wirkungsgrad

Vor allem an der Hitzebeständigkeit wird getüftelt. Früher herrschten innerhalb einer Turbine 600 Grad Celsius, heute sind es 1.600. „Die Werkstoffe spielen dabei eine große Rolle. Wir brauchen hervorragende Werkstoffe, denn je höher die Temperatur innerhalb des Brennraumes ist, desto höher ist auch der Wirkungsgrad einer Turbine", sagt Uhlmann.

Die neue Generation von Gasturbinen erreicht einen Wirkungsgrad von bis zu 60 Prozent. Das heißt aber auch, dass 40 Prozent verloren gehen, vor allem durch Reibung und den Brennprozess. Eine noch größere Hitze im Brennraum ist aber kompliziert. „Die Temperaturen innerhalb der Turbine liegen bereits im Schmelzbereich der Werkstoffe", erklärt Uhlmann.

Metallschmelze wird durch zwei Methoden verhindert

Das Schmelzen wird zum einen durch Kühlung unterbunden. „Einige Elemente haben kleine Löcher, dadurch werden sie mit Luft von innen gekühlt. Im Prinzip funktioniert das wie ein kleiner Kühler", so Uhlmann. Als zweite Methode wird die Beschichtung eingesetzt. „Die hitzebeständigeren Materialien werden dazu entweder auf das Metall aufgesintert oder bereits bei der Metallverarbeitung untergemischt", erklärt Ralf Thon.

Für die Beschichtung kommt vor allem Keramik zum Einsatz, denn Keramik hält höhere Temperaturen aus. „Das Gehäuse, aber auch die Schaufeln sind dazu mit einer dünnen Keramikschicht versehen, sie funktioniert als Wärmeschutz für das darunter liegende Metall", erklärt Uhlmann das Verfahren. Problem hierbei ist die Befestigung der Schicht, denn auch sie muss dem hohen Druck innerhalb der Turbine Stand halten.

Instandhaltung gewinnt an Bedeutung

Das Material ist allerdings nur die eine Seite, die andere ist die Verarbeitung innerhalb der Turbine. „Wir haben Dampfturbinen, die vor 50 Jahren hier gebaut wurden und die noch immer laufen. Und das bei 24 Stunden am Tag und 360 Tagen im Jahr", erklärt Ralf Thon. Langlebigkeit ist das Stichwort. „Verglichen mit dem Lebenszyklus eines Autos, wäre das Auto nach einer solchen Dauerlast schon nach kurzer Zeit auf dem Schrottplatz", meint Thon.

Damit Turbinen aber eine lange Lebensdauer haben, müssen sie regelmäßig gewartet, gepflegt und gereinigt werden. Mit dem technischen Service öffnet sich dabei ein neues Betätigungsfeld. In Berlin beschäftigt sich bereits das Fraunhofer Innovationscluster Maintenance, Repair und Overhaul  in Energie und Verkehr (MRO) - zu Deutsch Instandhaltung, Reparatur und Überholung - mit diesem Bereich.

Reparatur und Aufrüstung der Turbinen

„Die Maschinen werden am MRO nicht nur Instand gehalten, sondern auch verbessert. Es ist ja nicht so, dass die Regelungen hinsichtlich CO2-Ausstoß oder Wirkungsgrad stehen bleiben, sondern die Anforderungen ändern sich. Innerhalb des MRO können die Turbinen zum Beispiel aufgerüstet werden und ein Upgrade bekommen", erklärt Uhlmann. „In der Praxis funktioniert das so, dass die Maschine auseinander genommen wird, die Bauteile geprüft werden, nach Fehlern geschaut und auch eine Überarbeitung der Technik angeboten wird", erklärt Ralf Thon.

Dabei geht es auch ums Geld. „Längst verkaufen Hersteller ja nicht nur ihre Turbinen, sondern eine bestimmte Leistung für einen bestimmten Zeitraum. Enorme Instandhaltungskosten kann sich keiner leisten und bei Problemen sind eine schnelle Reparatur oder ein schneller Austausch die Folge", meint Unternehmensberater Frank Besinger. Und nicht jeder Hersteller verkauft jeden Tag eine Turbine. „Es ist bereits heute so, dass ein Vielfaches im Bereich Instandhaltung umgesetzt wird", sagt Eckart Uhlmann.

Forschungsschwerpunkt Instandhaltung

Mittlerweile ist dieser Bereich auch ein Forschungsschwerpunkt geworden. „Die großen Turbinen können ja zum Beispiel nicht einfach von A nach B gefahren werden. Das heißt, die Reparatur-Technologie muss zur Maschine gebracht werden, das heißt, das Werk fährt zur Turbine", so Uhlmann. Das erfordert wiederum besondere Werkzeuge und in Folge dessen auch neue Werkzeugmaschinen.

Womit die Runde bei den Turbinen der Zukunft ist. Wie wird sich die Technik in den nächsten Jahren verändern? Woran wird derzeit geforscht?

Sensortechnik und minimal-invasive Reparaturen

Natürlich haben die Wissenschaftler die Langlebigkeit der Turbomaschinen im Blick. „Früher war es so, dass die Turbine so lange in Betrieb war, bis sie kaputt ging", sagt Ralf Thon. In Zukunft sollen eingebaute Sensoren melden, wenn ein Element verschlissen ist, so dass es frühzeitig ausgetauscht werden kann. Für den Austausch der Teile arbeitet man zudem an kleinen minimal-invasiven Reparatur-Eingriffen, für die man nicht die gesamte Anlage auseinander nehmen muss.

Bauteile aus Voll-Keramik

„Der Wirkungsgrad wird sich verbessern" meint Eckart Uhlmann. „Dafür müssen wir mit der Brenntemperatur aber noch höher als 1.600 Grad Celsius gehen. Neue Materialien sind eine Möglichkeit, die andere ist die Keramik-Beschichtung. Möglich wäre nicht nur eine dünne Schicht, sondern die Elemente voll aus Keramik zu produzieren."

Die Hitzebeständigkeit wäre größer, das Problem ist allerdings die Zerbrechlichkeit. „Jeder weiß, was passiert, wenn man eine Tasse nach unten fallen lässt. Sie geht kaputt. Auf Druck hat Keramik zwar schon eine gute Festigkeit, aber nicht, was den Zug angeht, daran wird bereits geforscht. In zehn bis 15 Jahren werden wir ganz andere Turbinen haben, vielleicht sogar aus Vollkeramik", meint Uhlmann.

Podium:


Moderation
Thomas Prinzler, Wissenschaftsredaktion Inforadio (rbb)
http://www.inforadio.de/

Der Treffpunkt WissensWerte ist eine Veranstaltung der TSB Technologiestiftung Berlin und Inforadio (rbb). Sie wird mitgeschnitten und im Programm von Inforadio 93,1 gesendet.


Weitere Informationen zum Thema im Internet:

Quelle TSB

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